One size fits all? – Welche Verantwortung geht mit Reichweite auf Social Media einher?

  • Eva Horn

Ein Essay.

Eigentlich passt alles, was man über soziale Netzwerke und Verantwortung wissen muss, in einen einzigen Satz: Sei kein Arschloch! Für den Fall, dass es jemand noch etwas konkreter mag: Schreibe nichts, was du nicht auch vor 50 Leuten auf einer Bühne mit deinen Eltern im Publikum sagen würdest. Erdacht habe ich diese weisen Worte allerdings nicht selbst, sondern sie stammen von Torsten Beeck und Ayla Kiran, meinen (ehemaligen) Vorgesetzten beim SPIEGEL. 

Man darf jede Menge Dinge sagen. Aber man hat kein Recht darauf, dass einem niemand widerspricht

So einfach diese Regel klingt – wie diverse Beispiele zeigen, ist es in der Praxis doch komplizierter. Der Versuch einer Anleitung:

Mit der Verantwortung in den sozialen Netzwerken ist das so eine Sache. Das “Wird-man-ja-wohl-noch-sagen-Dürfen” ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden – dabei geht es meistens darum, legitime Kritik an den eigenen Äußerungen abschmettern zu wollen. Denn es ist nun einmal so: Man darf als Privatperson in sozialen Netzwerken (und auch im sogenannten Real Life) jede Menge Dinge sagen (sofern sie keinen Straftatbestand darstellen, was allerdings auch erst einmal von jemandem angezeigt und in der Folge von einem Gericht entschieden werden müsste). Aber man hat kein Recht darauf, dass einem niemand widerspricht. Und man hat auch nicht das Anrecht darauf, dass aus einer Äußerung keine Konsequenzen folgen. Dies gilt zum Glück für jeden Nutzenden – unabhängig von der Größe der Accounts. 

Eigentlich, und das ist ja eine der schönen Sachen an diesen sozialen Netzwerken, gibt es kein groß und klein. Alle können ihre Meinung, ihre selbstgemalten Bilder oder sonstige Ergüsse ins Netz stellen – ein freies Internet ist da sehr demokratisch. Dieser Umstand hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass marginalisierte Gruppen, die sonst eher wenig Zugang zur Öffentlichkeit haben, über die sozialen Netzwerke mehr Aufmerksamkeit für ihre Anliegen gefunden haben. Die Beispiele sind zahlreich, Hashtags wie #MeToo (sexualisierte Gewalt), #MeTwo (Rassismuserfahrungen), #NotJustSad (Depressionen) sind vielleicht hierzulande die bekanntesten. Und es ist gut, dass diese Gruppen zusehends die Aufmerksamkeit bekommen, die ihnen zusteht. Auch wenn nicht alle alten Player damit umgehen können, dass sich plötzlich neue Stimmen erheben. 

Vielen Nutzenden fehlt bis heute das Rüstzeug, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden

Warum müssen wir uns diese Gedanken überhaupt machen? Neben vielen positiven Errungenschaften haben die sozialen Netzwerke auch eine dunkle Seite – und die ist ziemlich mächtig. Ob Hass im Netz, Stalking oder auch das massenhafte Verbreiten von Fake News, die Probleme sind massiv und die Schäden für die Opfer immens. Im Netz „geborene” Verschwörungstheorien oder -ideologien wie QAnon* sind nur auf den ersten Blick lustig, auf den zweiten Blick sind sie zersetzend bis gefährlich – und vielen Nutzenden fehlt bis heute das Rüstzeug, seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden. Wie auch, wenn selbst etablierte Medienhäuser immer wieder auf die Tricks von besonders gut organisierten Kleinstgruppen hereinfallen. Da wird beispielsweise in einer Telegram-Gruppe dazu aufgerufen, bei einem Fernsehsender anzurufen und sich über eine Sendung zu beschweren. Eine ungeschulte Redaktion, die sonst nie angerufen wird, erkennt möglicherweise nicht, dass es sich um eine konzertierte Aktion einer kleinen Gruppe handelt, und wähnt sich im Shitstorm. 

Eine Verantwortung für unsere Accounts haben wir alle – egal, ob sie groß oder klein sind

Dies ist kein Aufruf dazu, legitime Kritik zu unterlassen und nicht mehr zum Telefon zu greifen, im Gegenteil. Wir machen alle Fehler und es ist gut, wenn wir darauf hingewiesen werden, damit wir sie korrigieren und aus ihnen lernen können. Doch es gibt keinen Grund, sich für richtige Entscheidungen zu entschuldigen oder zurückzurudern. Und hier gibt es natürlich schon einen Unterschied zwischen reichweitenstarken und reichweitenschwachen Accounts. Von reichweitenstarken Accounts, insbesondere bei Medienhäusern, sollte man erwarten können, dass sie professionell agieren und Menschen beschäftigen, die sich mit sozialen Netzwerken auskennen und ihre Funktionsweise verstehen. In der Praxis sind viele Social-Media-Teams aber unterbesetzt, und in den Redaktionen fehlt es an diversem Personal, welches in der Lage ist, zu entscheiden, was ein Fehler ist, wie man ihn korrigieren sollte, wie man im Jahr 2020 kommuniziert – und was aufgebauschte Empörung ist. Aber eine Verantwortung für unser Tun haben wir alle, egal, ob große oder kleine Accounts, egal, ob online oder offline. 

Deswegen sollte man sich die folgenden drei Punkte zu Herzen nehmen:

1. Quellen checken und im Zweifelsfall nachrecherchieren.

2. Provozierenden Menschen keine Aufmerksamkeit schenken (kurz gesagt: Stop making stupid people famous).

3. Kontext liefern, wenn man etwas weiterverbreitet.

*QAnon

QAnon oder kurz Q nennt sich eine mutmaßlich US-amerikanische Person oder Gruppe, die seit 2017 Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund im Internet verbreitet. Das Pseudonym bezeichnet seitdem auch diese Verschwörungsthesen.

[Quelle: Wikipedia]

Weitere Infos:

Wikimedia-Salon “N = Niemandsland. Anarchie im Netz?!” mit Eva Horn, Bruno Kramm und Michael Seemann

Eva Horn

Eva Horn ist Journalistin und arbeitet seit 2016 bei SPIEGEL ONLINE im Ressort Social Media. Sie studierte Politikwissenschaft, Geografie und Germanistik in Münster und Barcelona. Horn arbeitete zuvor u.a. als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Landtag von Baden-Württemberg und im Europaparlament. Auf Twitter ist sie als habichthorn zu finden.