Wege zur Diversität: Vorschläge von Julia Kloiber

  • Julia Kloiber

Welche Strategien sind heute notwendig, damit sich zukünftige Online-Projekte und ihre Communitys von Beginn an divers und vielfältig entwickeln können?

Die erste Antwort ist ganz simpel: Man sollte schon mit einer diversen Gruppe starten. Wenn man ein neues Tool oder ein neues Medium konzipiert, muss das mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen geschehen, aus verschiedenen Bereichen, mit verschiedenen Hintergründen, die von Anfang an Ownership entwickeln. Ownership in dem Sinne: Sie sind Teil des Projekts, es gehört ihnen, sie gestalten mit. So entwickelt sich im besten Fall eine Kultur der Vielfalt, in der es natürlich auch Reibungen geben kann. Aber die Aushandlungsprozesse sind produktiver, wenn die Projekte nicht von einer homogenen Community vorangetrieben werden, die sich in allem einig ist. Allerdings reicht es nicht – und das ist ein weiterer wichtiger Punkt – wenn nur die Teams vielfältig sind. Diversität sollte vor allem auch auf der Führungsebene ausgeprägt sein. Ein Beispiel: Im zivilgesellschaftlichen Bereich erlebt man es oft, dass etwa Frauen in den Organisationen die Mehrheit stellen – in den Leitungspositionen aber dennoch in der Minderheit sind.

Eine Community im digitalen Bereich, die mir als Beispiel für geglückte Diversität einfällt, ist die JSConf-Community, die sehr stark auch feministische Werte verankert hat. Ihre Community-Events künden davon: Es gibt Kinderbetreuung, veganes Essen, Badges, mit denen man Stimmungen ausdrücken kann. Als introvertierte Person nimmt man sich etwa einen roten Badge, wenn man gerade nicht sprechen und auch von niemandem angesprochen werden möchte. Die Community achtet im Detail auf sehr viele Bedarfe und kennt die Bedarfe auch, weil das Gründungsteam von Anfang an divers war und diese Werte der Vielfalt ins Zentrum gestellt hat.

Es gibt Maßnahmen, die tatsächlich sinnvoll und wirksam „Monokulturen“ in Online-Projekten zu vermeiden helfen.

Zum Ersten: sich einen „Code of Conduct“ zu geben, wie ihn auch die Wikipedia am 2. Februar 2021 verabschiedet hat. Einen Kodex, der festlegt, auf welches Verhalten sich eine Gruppe geeinigt hat, was sie nicht akzeptiert. Sexistische Sprache zum Beispiel. So ein Kodex schützt nicht automatisch vor Fehlverhalten, aber man kann sich darauf berufen, auf seiner Basis auch Konsequenzen ziehen. Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören und deshalb öfter als andere Diskriminierung und übergriffigem Verhalten ausgesetzt sind, schauen etwa sehr genau auf den „Code of Conduct“, wenn sie einer neuen Community beitreten: Werde ich hier geschützt, bemüht man sich, in achtsames Umfeld zu bieten? Immer mehr Online-Communitys haben sich in den vergangenen Jahren Codices gegeben, die nicht nur niedergeschrieben sind, sondern auch umgesetzt und implementiert werden. Das hat der Wikipedia zuvor gefehlt: so ein universeller Kodex, der ausdrückt, welche Kultur herrscht, worauf man sich einlässt, wenn man mitschreiben möchte.

Ein zweiter Punkt ist das Community-Management. Bei fast allen Projekten, die mit größeren Gruppen online arbeiten, gibt es Personen, die nicht nur dafür sorgen, dass der „Code of Conduct“ eingehalten wird, sondern darauf achten, dass Menschen sich willkommen fühlen können, dass sie gehört werden, dass darauf geschaut wird, wo noch Mängel bestehen, wo nachjustiert werden muss. Verantwortliche eben, die sich wirklich auf die Community-Arbeit fokussieren. Bei Wikipedia ist die Arbeit natürlich stark inhaltlich ausgerichtet. Aber auch hier könnte es helfen, wenn Diskussionen moderiert würden – auch wenn das streckenweise ein anstrengender Job ist. Darauf sollte man künftig stärker achten.

Für die Wikipedia der Zukunft könnte es überhaupt interessant sein, auch ein paar radikalere Ideen durchzuspielen.

Wie würde eine Wikipedia aussehen, die von Kindern geschrieben ist? Oder von Maschinen? Wie wäre es, wenn man per Zufallsprinzip Artikel löschen und sie neu schreiben ließe? Momentan gibt es für Menschen, die neu anfangen wollen, keine großen Baustellen, bei denen man sofort den Impact sehen könnte. 
Das Beispiel Wikipedia zeigt auch, dass es beim Thema Diversität nicht in erster Linie um Political Correctness geht. Denn selbst, wenn wir nur über die Qualität der Inhalte sprechen, ist Diversität relevant. Wenn eine Online-Enzyklopädie den Anspruch hat, einen neutralen Standpunkt zu beschreiben und zu vertreten, dann lässt sich das nicht mit einer sehr homogenen Gruppe an Editoren realisieren. Es würde der Wikipedia guttun, nicht im Status quo zu verharren, sondern sich viel stärker noch in die Zukunft zu orientieren.

Ein freies Netz, das von Vielfalt geprägt ist, in dem sich Menschen austauschen und vernetzen können, ist eine der Grundlagen für eine lebendige Demokratie im 21. Jahrhundert.

Wer das verstehen will, muss sich eigentlich nur vor Augen führen: Was würde das Gegenteil bedeuten? Das Gegenteil wäre ein überwachtes Netz, das von Unternehmen regiert wird. In dem Unternehmen oder Akteure entscheiden, wer wo wann mitmachen darf, wo drastisch zensiert wird und Wissen nur gegen Geld oder über den Verkauf der eigenen Daten zugänglich wäre.

Die vergangenen Monate haben schon gezeigt, was geschehen kann, wenn sich Leute in ihren Bubbles radikalisieren und von der Gesellschaft abspalten. Diese Tendenzen würden durch ein unfreies Internet, in dem es keine Netzneutralität mehr gibt, noch befördert. Schon heute regieren ja die Unternehmen. Es gibt nicht so viele Projekte wie die Wikipedia, die an einem gemeinwohlorientierten Netz mit freiem Zugang zu Wissen arbeiten. Genau die sind aber essenziell für eine demokratische Gesellschaft.

Weitere Infos:

Julia Kloiber

Julia Kloiber ist die Gründerin von Superrr Lab - einem feministischen Think Tank und Fellow bei der Mozilla Foundation.. In ihren Projekten erforscht sie die Auswirkungen von Technologie auf die Gesellschaft und schafft Programme, die helfen, Technologie für das Gemeinwohl zu fördern. Kloiber hat mehrere Projekte geleitet - wie zum Beispiel Deutschlands ersten öffentlichen Fonds für Open-Source-Software-Projekte: den Prototype Fund.