Digital Services Act: „Wir wollen Gesetze gemeinwohlorientierter gestalten“

Justus Dreyling, Referent für Internationale Regelsetzung bei Wikimedia Deutschland, über den Einsatz von Wikimedia zur Verbesserung des „Digital Services Act“.

Welche Geschichte hat der Digital Services Act?

Schon 2000 hat die EU einen Rechtsrahmen für Onlinedienste beschlossen, die „Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“. In den folgenden Jahren entstanden dann aber neben klassischen Onlineshops Plattformen wie Facebook, Twitter, YouTube und Co, auf denen Nutzer*innen ihre eigenen Inhalte posten können. Für diese Plattformen existieren bis heute keine passgenauen Regularien. Die Frage ist vor allem: Wer ist für illegale und problematische Inhalte verantwortlich? Verschiedene europäische Länder haben sich an eigenen Regeln versucht, in Deutschland etwa gibt es das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)“. Aber bei der Europäischen Kommission – und auch bei den Mitgliedstaaten – ist die Erkenntnis gewachsen, dass es neue Rahmenbedingungen für das Internet braucht, wie es heute ist. Diese Diskussion lief hierzulande auch unter dem Schlagwort „Grundgesetz für das Internet“.

Welche Schwierigkeit ist die größte bei der Ausgestaltung dieses Gesetzes?

Es geht darum, den Spagat hinzubekommen, dass Plattformen ab einem bestimmten Punkt bei einer Beschwerde eingreifen müssen, aber zuvor nicht für von Nutzer*innen gepostete Inhalte haftbar zu machen sind. Diese Balance – im Falle von sozialen Netzwerken wie Facebook zwischen Meinungsfreiheit und beispielsweise dem Schutz vor Angriffen auf die persönliche Ehre – ist auch in der Wikipedia wichtig. Hier geht es um die Informationsfreiheit, die gewährleistet werden muss. Als der erste Entwurf für den „Digital Services Act“ (DSA) kam, haben wir ihn uns aus zwei Blickwinkeln angeschaut: Sind alle Grundrechte, alle Freiheiten gleichermaßen gut geschützt? Und: Funktioniert das Gesetz auch für nicht kommerzielle Plattformen wie Wikipedia? Denn der Gesetzgeber hat meist die großen, gewinnorientierten Anbieter im Blick – gemeinwohlorientierte und generell kleinere Projekte geraten schnell ins Hintertreffen.

Welches spezifische Interesse hat Wikimedia?

Was uns besonders wichtig ist: Die Wikipedia funktioniert über einen community-basierten Ansatz. Das gilt auch für die Moderation von Inhalten. Wenn jemand einen illegalen Inhalt beklagt, kann sie oder er sich an die Wikimedia Foundation als rechtliche Betreiberin der Projekte wenden, die im Zweifelsfall eingreift. Aber in aller Regel wird schon vorher die Community tätig. Ein beleidigender Inhalt würde durch die Freiwilligen identifiziert und in aller Regel schnell gelöscht. Unser Anliegen war, dass wir nicht zu einem administrativen Vorgang gezwungen werden, der parallel zu dem läuft, was die Community bereits erfolgreich unternimmt. Das sieht der DSA glücklicherweise auch nicht mehr vor.

Was gilt es in Bezug auf die Communitys noch zu berücksichtigen?

Das andere Thema ist: Unsere Communitys haben eigene Verhaltensregeln. Bei Facebook gibt es klassische Nutzungsbedingungen, Community Standards genannt, die die Betreiberfirma Meta entworfen hat. In der Wikipedia stellt die Community ihre eigenen Regeln auf – die sich aber von klassischen Nutzungsbedingungen unterscheiden. Teilweise sind sie weniger juristisch formuliert, es wird Wert gelegt auf enzyklopädische Prinzipien wie den neutralen Standpunkt. Das ist oft schwerer umzusetzen als etwa ein Verbot von Hasskriminalität oder rassistischen Beleidigungen. Der Ermessensspielraum ist weiter gefasst. Das war gerade zu Beginn nicht ausreichend im DSA berücksichtigt.

Wie vollzieht sich das Lobbying auf EU-Ebene?

Im Dezember 2020 hat die Europäische Kommission einen ersten Entwurf für den DSA vorgelegt. Das ist immer der erste Schritt im EU-Gesetzgebungsverfahren. Schon vorher haben wir an einer eigenen Vision gearbeitet – um proaktiv zu zeigen, für welches Internet wir stehen. Das hat gut funktioniert, daraus haben sich viele Gespräche ergeben. In einem nächsten Schritt haben wir versucht, auf das Europäische Parlament einzuwirken, das ja auch Veränderungen durchbringen will. Gleichzeitig gibt es eine Diskussion der Mitgliedstaaten über den Gesetzentwurf im Europäischen Rat. Jetzt diskutieren die drei Institutionen der EU den DSA im sogenannten Trilog-Verfahren aus.

Welche konkreten Möglichkeiten hat Wikimedia, hier Einfluss zu nehmen?

Wir führen Gespräche mit Abgeordneten und Mitarbeitenden aus ihren Büros, vor Ort in Brüssel oder online, ich habe Gespräche mit deutschen Abgeordneten geführt. Was sich auch bewährt hat, waren sogenannte Quick fixes – das heißt, wir schreiben den Gesetzestext um und schlagen die Passagen als Änderungen vor. Im besten Falle wird über diese Änderungsvorschläge dann abgestimmt. Dabei vertreten wir den Anspruch, nicht nur in unserem eigenen Interesse zu handeln – wie ein kommerzielles Unternehmen – sondern den Gesetzestext gemeinwohlorientierter zu gestalten.

Welche Erfolge konnten erzielt werden?

Das kann ich nur unter Vorbehalt beantworten, denn das Gesetz ist noch nicht beschlossen.

So wie es aussieht, werden keine zeitlichen Fristen vorgeschrieben, innerhalb derer ein beanstandeter Inhalt geprüft werden muss. Das ist gut für uns, denn dafür hätte die Community im Zweifelsfall nicht genug Zeit. Und: Es soll differenziert werden zwischen den Regeln von Communitys und den Guidelines der großen Plattformanbieter. Natürlich bleibt ein Gesetz letztlich zu einem gewissen Grad immer auch Auslegungssache und es besteht die Gefahr, dass es nicht in unserem Sinn interpretiert wird. Aber was den DSA betrifft, bin ich zuversichtlich.  

„Es braucht universelle Regeln für die Moderation von Online-Inhalten. Hetze darf nicht die Oberhand gewinnen. Der Vorschlag des Europäischen Parlaments ist ein guter erster Schritt, denn er findet einen guten Umgang mit illegalen Inhalten und schützt die Meinungs- und Informationsfreiheit im Netz.“

– Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand Wikimedia Deutschland e. V.