Grenzenlose Zusammenarbeit

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Die Bereitschaft von Institutionen aus dem GLAM-Bereich (Galleries, Libraries, Archives & Museums), sich den Wikimedia-Projekten zu öffnen, ist 2022 weiter gewachsen. Highlights waren unter anderem die Kooperation mit dem Stadtarchiv Leipzig und ein Besuch der Wikipedianer*innen im Museum Sammlung Prinzhorn.

Am Denkmal der Bremer Stadtmusikanten ist ein sogenannter QRPedia-Code angebracht. Per Smartphone bietet er Zugang zu dem entsprechenden Wikipedia-Artikel über das berühmte Wahrzeichen – in 48 Sprachversionen. Es ist nicht nur ein praktisches Tool, sondern angesichts vieler geflüchteter Menschen, die im Zuge von Krieg und Krisen nach Deutschland kommen, »auch eine Möglichkeit, Menschen willkommen zu heißen, indem man ihnen Informationen in ihrer Muttersprache näher bringt«, so Holger Plickert, Projektmanager Kultur und Community bei Wikimedia Deutschland.

Zusammen mit Gereon Kalkuhl – Wikipedianer und Kulturbotschafter der freien Online-Enzyklopädie hat Plickert im Frühjahr 2022 diese und weitere Errungenschaften aus dem Wikiversum in einem Onlinevortrag auf Einladung des Berliner Arbeitskreises Information (BAK) vorgestellt. Nicht zuletzt ging es dabei auch um den Mehrwert, den Kultureinrichtungen gewinnen, wenn sie sich den Wikimedia-Projekten öffnen. »Das erkennen erfreulicherweise immer mehr Kultur- und Gedächtnis-Institutionen aus dem GLAM-Bereich«, so Plickert.

Offene Archive

Dazu zählt auch das Stadtarchiv Leipzig. Anlässlich des dritten bundesweiten Digitaltags am 24. Juni 2022 hat die Gedächtnis-Institution in Kooperation mit Wikimedia Deutschland virtuell ihre Türen für die Ehrenamtlichen der Wikipedia (sowie für alle Bürger*innen) geöffnet.

Vorgestellt wurden dabei Projekte wie WikiSource – ein Projekt, das teils Jahrhunderte alte Dokumente maschinenlesbar macht, aber auch das seit 2014 bestehende »Klexikon«, bekannt als »Wikipedia für Kinder«.

Mit der Veranstaltung habe sich das Stadtarchiv »weiter in Richtung einer digitalen Gemeinschaft von Menschen geöffnet, die sich ehrenamtlich engagieren möchten oder dies auf Wikipedia bereits tun«, so Michael Ruprecht, Direktor des Stadtarchivs. Die Kooperation sei auch »ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit: Unser Archivgut kann von allen Interessierten genutzt werden, und das in der Regel kostenfrei.« Das ist ein erfreulicher Synergieeffekt: Das Stadtarchiv war im Herbst 2022 auch der Veranstaltungsort für die Preisverleihung der Fotowettbewerbe »Wiki Loves Monuments« (WLM) und »Wiki Loves Earth« (WLE).

Internationaler Museumstag

Nicht nur die Präsenz von Archiven, sondern auch von Museen konnte in den Wikimedia-Projekten signifikant gesteigert werden. Ein Anlass dazu war der Internationale Museumstag, der bereits seit 1977 vom International Council of Museums (ICOM) ausgerichtet wird – und an dem sich 2022 Wikimedia-Vereine und Usergroups aus 27 Ländern beteiligt haben, viele davon aus dem globalen Süden.

»Die Vielfalt, die wir als Wikimedia-Bewegung anstreben, hat sich wie noch nie in der Beteiligung am Internationalen Museumstag widergespiegelt«, so Raimund Liebert, Leiter Programme bei Wikimedia Österreich. Herzstück des Wikimedia-Engagements war einmal mehr ein Wikidata-Wettbewerb mit beachtlicher Resonanz und messbarem Erfolg. Knapp 1.000 Menschen haben sich beteiligt, 86.108.434 Bytes sind den Wikidata-Items über Museen hinzugefügt worden. »Ein Beispiel dafür, dass die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg funktioniert«, bilanziert Liebert.

Besuch in der Sammlung Prinzhorn

Eine besondere Institution, mit der 2022 erstmals eine hybride »GLAM on Tour«– Veranstaltung stattfinden konnte, ist das Museum Sammlung Prinzhorn des Universitätsklinikums Heidelberg. Es beherbergt die weltweit größte Sammlung von sogenannter Outsider-Art oder Art brut – Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahmeerfahrungen. Es ist ein Sujet, dessen Abbildung in der Wikipedia Sensibilität verlangt – und von den teilnehmenden Wikipedianer*innen auch genau so behandelt wurde.

Die Nutzerin Alraunenstern war beeindruckt vom Entgegenkommen der Verantwortlichen vor Ort. »Uns wurde schon im Vorfeld ein umfangreicher Handapparat an Büchern gescannt und zur Verfügung gestellt«, erzählt sie. Während der Veranstaltung konnten die Freiwilligen weitere Werke erbitten, die dann nachgescannt wurden – wie die Prinzhorn-Publikation »Irre ist weiblich« über künstlerische Interventionen von Frauen in der Psychiatrie um 1900, die sich die Wikipedianerin gewünscht hatte.

Wachsende Reputation der Projekte

»Bildende Kunst nimmt generell immer größeren Raum in unseren Projekten ein und stößt bei den Ehrenamtlichen zunehmend auf Interesse«, schildert Holger Plickert seine Beobachtung. Dafür steht auch die Zusammenarbeit innerhalb der AG kuwiki (Kunstwissenschaften + Wikipedia), in der Kunsthistoriker*innen und Wikipedianer*innen Expertise bündeln. Das kuwiki- Projekt »Living Handbook«, ein Handbuch für das Verfassen kunstwissenschaftlicher Texte in der Wikipedia, wurde 2022 mit dem Deubner-Preis des Deutschen Verbandes für Kunstgeschichte ausgezeichnet.

Auf vielen GLAM-Veranstaltungen hat der Projektmanager Kultur und Community 2022 eine wachsende Beteiligungsbereitschaft von Verantwortlichen der Institutionen erlebt. Ob bei einer Kooperation mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel oder in Österreich mit der Privatstiftung Esterházy, »man merkt, welche Reputation sich die Wikimedia-Bewegung in den vergangenen Jahren erarbeitet hat«, so Plickert. Im Zuge einer GLAM-Station mit der Alten Pinakothek in München ist ihm noch einmal deutlich geworden, wie sehr es sich auch jenseits der Pandemie bewährt, Veranstaltungen digital anzubieten und so mehr Partizipation zu ermöglichen. Und zwar weltweit. »Erstmals«, erzählt Plickert, »hat sich dabei auch ein Ehrenamtlicher zur Frühstückszeit aus San Francisco zugeschaltet.«

»Wikidata ist eine Stelle, die immer spannender wird, gerade wenn Museen online gehen und sich vernetzen wollen, sei es untereinander oder mit anderen Kultureinrichtungen.«

Frank von Hagel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Museumsforschung in Berlin

»Die Öffnung der Archivkartons und Wissensschätze zur Frauenbewegung bot nicht nur uns als Einrichtung einen unmittelbaren Gewinn durch die Nachfragen. Auch dass die Ehrenamtlichen ihr Wissen in Artikel übertrugen und ihr schon vorhandenes Wissen teilten und weitergaben, war eine tolle Erfahrung.«

Kerstin Wolff
Forschungsleiterin am Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel