Digitale Bildung in Krisenzeiten: WirLernenOnline

Über 12.000 freie Inhalte stehen in 17 Fachportalen bei WirLernenOnline zur Verfügung (Stand: März 2021).

Für eine zeitgemäße digitale Bildungslandschaft sind freie Bildungsmaterialien und insbesondere Open Educational Ressources (OER) unerlässlich. Zusammen mit dem Partner edu-sharing hat Wikimedia Deutschland die Plattform „WirLernenOnline“ aufgebaut. 

Genau diese Open Educational Ressources (OER) findet man über die Plattform „WirLernenOnline“, die im Frühjahr 2020 gelauncht wurde. Hier konnten wichtige Quellen für Lehr- und Lerninhalte unter freier Lizenz zugänglich gemacht werden. Was diese Materialien auszeichnet und für den Unterricht, die Lehrenden und die Schüler*innen wertvoll macht: „Man darf sie je nach den eigenen Unterrichtsanforderungen verändern, remixen und teilen“, so Gleibs. Zudem stärkt die Plattform die Bedeutung von OER in der bildungspolitischen Diskussion.

„WirLernenOnline“ wird im Rahmen des Corona-Soforthilfeprogramms vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aus Anlass der Pandemie gefördert.

„Bei OER geht es nicht nur um die Lizenz, sondern um die Haltung: Dass Lehren und Lernen etwas Ko-Kreatives ist und dahinter die Idee des Teilens steht.“

– Heike Gleibs

Freilich, erklärt Gleibs, mache das Projekt auch Herausforderungen sichtbar. Dafür gebe es mehrere Gründe, erklärt Heike Gleibs. Einer sei technischer Natur: „Die Hälfte der auffindbaren Materialien hat gar keine Lizenzangaben in den Metadaten.“ Ein weiterer Punkt ist, dass „noch nicht so viele OER existieren, um für jeden Unterrichtsbedarf Materialwünsche erfüllen zu können“, so Bernd Fiedler, bei Wikimedia Projektmanager Politik. Die Plattform wurde im Rahmen des Corona-Soforthilfeprogramms vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aus Anlass der Pandemie gefördert. Sie verweist auch auf Materialien, die zwar frei zugänglich sind, jedoch nicht verändert und weitergereicht werden dürfen.

Was Gleibs auch betont: „Bei OER geht es nicht nur um die Lizenz, sondern um die Haltung: Dass Lehren und Lernen etwas Ko-Kreatives ist und dahinter die Idee des Teilens steht.“

„Wir sehen eine deutliche Bewegung auf dem Feld der OER, aber wir brauchen dringend mehr Förderung – und mehr Bewusstein.“

Bernd Fiedler

Politisch erfahren freie Bildungsmaterialien und OER Aufwind, das ist ein positiver Trend. Unter anderem hat die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), von der viele Inhalte über „WirLernenOnline“ verlinkt sind, zuletzt die von ihr geförderten Bildungsträger zu Creative Commons Lizenzen verpflichtet. Im Zukunftsprogramm der SPD findet sich der Passus: „Ebenfalls begrüßen wir die verstärkte Veröffentlichung von Inhalten unter offenen und freien Lizenzen, um die Nutzung der Inhalte zum Beispiel im Rahmen freier Wissensprojekte (Wikipedia) oder auch im Schulunterricht leichter möglich zu machen.“

Und schließlich arbeitet auch das BMBF an einer OER-Strategie. An deren Entwicklung waren Wikimedia und das Bündnis Freie Bildung beratend beteiligt. „Wir sehen eine deutliche Bewegung auf dem Feld der OER“, so Bernd Fiedler.

„Die Öffnung von Unterricht funktioniert nur, wenn wir freie Lizenzen nutzen“

Ein Gespräch mit Jana Haase und André Hermes über die Bedeutung von Open Educational Ressources (OER)

Inwiefern hat die Pandemie in Ihren Augen die Chancen im Bereich digitaler Bildung offengelegt – und wo sehen Sie Hürden?

HAASE: Aus der Perspektive der Bibliotheken, speziell der Schulbibliotheken, hat die Pandemiesituation enorm viele Chancen eröffnet. Das digitale Zusammenarbeiten über Lernplattformen und die Kommunikation über Videokonferenztools waren auch die Entdeckung einer Barrierefreiheit. Ich denke da zum Beispiel an Menschen mit Bewegungseinschränkungen, für die der Weg zur Schule schon eine Hürde darstellt. Probleme sind aber auch sichtbar geworden: Nicht alle Schülerinnen und Schüler, nicht alle Lehrkräfte und Institutionen verfügen über die notwendigen technischen Voraussetzungen für das Lehren und Lernen online. Das konnte oft nur durch privaten Einsatz gelöst werden.

HERMES: Auch aus der schulischen Perspektive gab es die Chance, im digitalen Bereich viel zu lernen. Nur konnten die Schulen davon sehr unterschiedlich profitieren, weil sie so verschieden aufgestellt sind. Manche verfügten schon über die Infrastrukturen, die für den Austausch von Dateien und für Videokonferenzen nötig sind, oder über ein internes Chat- oder E-Mail-System, um die Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern anzustoßen, andere überhaupt nicht. An der Stelle hakt es bereits.

Welche Rolle haben für Ihre Arbeit freie Bildungsmaterialien und insbesondere Open Educational Ressources (OER) gespielt?

HERMES: Eine große. Vieles wäre in den vergangenen Monaten ohne OER legal gar nicht möglich gewesen. Die Zahl an neuen Youtube-Videos von Lehrenden ist ja regelrecht explodiert, so lassen sich inzwischen Erklärvideos zu allem und jedem finden. Wenn hier der Content-Filter zum Einsatz käme – was ja bald der Fall sein wird – dürfte ein Großteil davon allerdings schnell wieder verschwinden. Es genügt ja, dass irgendwo eine Abbildung zu sehen ist, die nicht frei lizenziert zur Verfügung steht.

Man sieht aber auch, wie viel Material zu ein und demselben Thema produziert wurde. Es hätte sich viel Zeit sparen lassen, wenn mehr OER untereinander geteilt und für die jeweils eigenen Zwecke angepasst worden wäre. Dafür müssen Lehrkräfte allerdings von OER wissen und damit umgehen können. Hier besteht noch immer Aufklärungs- und Schulungsbedarf.

HAASE: Nach meiner Erfahrung ist das Bewusstsein für OER im vergangenen Jahr allerdings stark gestiegen. Ich habe gehäuft Anfragen von Lehrenden bekommen: Wie verhält es sich mit den Bildrechten, was darf ich wie benutzen? Zu diesem Thema ist deutlich mehr Gespräch, Beratung und kollegialer Austausch entstanden, was schon mal erfreulich ist. Aber das Thema Urheberrecht – das bleibt natürlich weiterhin ein dickes Brett, an dem wir zu bohren haben werden.

Welche Best-Practise-Beispiele bewähren sich für OER?

HERMES: Zunächst mal: mein eigenes Material. Wenn ich es wirklich als OER aufbereite, kann ich sicher sein, dass es auch im nächsten und übernächsten Jahr noch einsetzbar ist – weil die Materialien anpassbar sind und von einem Schulbuch unabhängig sind, das alle zwei Jahre neu aufgelegt werden muss. Ein Beispiel: Arbeitsblätter im Erdkunde-Unterricht veralten ja sehr schnell. Vielleicht nicht beim Thema Vulkanismus, aber schon, wenn es um die wirtschaftliche Ausrichtung von China geht. Soll ich den Schülerinnen und Schülern veraltetet Daten von 2015 anbieten? Wenn die Materialien aber nicht nur frei lizenziert, sondern auch bezüglich der Software offen sind, kann ich einfach auf die entsprechende Grafik klicken und die aktuellen Daten nachtragen.

HAASE: Ich habe in den vergangenen Monaten viel Material digital zur Verfügung gestellt und auf Lernplattformen hochgeladen – und dabei die Bildungsschranke im Urheberrecht weit ausgenutzt. Alles, was in diesen Grenzen zulässig war, habe ich gescannt und für den Unterricht zur Verfügung gestellt. Viel Material findet sich auch auf Plattformen wie „WirLernenOnline“. Natürlich muss man auch da schauen: Ist es aktuell, ist es aktualisierbar? Ich habe zum Beispiel oft von Lehrkräften aus dem Bereich Wirtschafts- und Sozialkunde den Auftrag „Schau doch mal die Plattformen durch, such die neuesten Materialien heraus und schick mir die Links zu diesem oder jenem Thema“ bekommen.

HERMES: Bei freien Materialien kann ich natürlich die Aufgabe auch an Schülerinnen und Schüler geben: Schaut bei GENESIS-Online nach den aktuellen Daten und bringt die Grafik oder Tabelle auf den jüngsten Stand. So lernen sie nebenbei auch den Umgang mit Datenbanken, damit kann eine gewisse Offenheit im Unterricht erreicht werden. Wenn ich im Geografie-Unterricht eine Open-Street-Map-Karte zur Verfügung stelle, können sie die zum Beispiel in die Mitte stellen und darum herum Informationen gruppieren oder weitere Layer darüber legen und ihr Lernprodukt teilen. Diese Öffnung von Unterricht funktioniert nur, wenn wir freie Lizenzen nutzen.

Welche politischen Rahmenbedingungen müssten in Ihren Augen geschaffen werden, um digitale Bildung und OER besser zu fördern?

HERMES: Sowohl digitale Bildung, als auch die Nutzung von OER an Schulen stehen und fallen mit den Beratungsstrukturen. Dafür müssen Stellen geschaffen werden. Wir brauchen dringend an jeder Schule eine Person für Medienberatung. Und ein weiterer Punkt ist die altbekannte Forderung: Öffentliches Geld – Öffentliches Gut. Die Bundesregierung gibt reichlich Geld für die Erstellung von Material aus, das dann aber für die Gesellschaft nicht frei nutzbar ist.

HAASE: Und wir brauchen so etwas wie eine Lehrmittelfreiheit 4.0. Früher gab es Unterstützung für Menschen, die die Kosten bestimmter Lehrbücher nicht tragen konnten. Heute gibt es keine Klassensätze von Lehrbüchern mehr. Dafür sollte die Politik sicherstellen – und das ist mit gesetzlichen Regelungen, mit Bundes- und Landesfördermitteln durchaus zu leisten – dass alle Kinder und Jugendlichen, die zur Schule gehen, die Möglichkeit haben, sich die notwendigen Medien und Geräte zu kaufen oder auszuleihen.

Jana Haase

Jana Haase ist Bibliothekarin, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken Berlin Brandenburg e.V. und Mitglied im Bündnis Freie Bildung. Zum Forum Open Education hat Haase in der Fachgruppe zum Thema Ungleichheit und digitale Lehre mitgewirkt.

André Hermes

Auf seinem Blog „medienberater bloggt“ schreibt André Hermes über das Lehren und Lernen in der digital geprägten Welt. Der Lehrer für Erdkunde und Sport an einem Gymnasium ist außerdem Lehrbeauftragter am Institut für Geographie der Universität Osnabrück.