GLAM-Projekte im virtuellen Raum

Insgesamt 54 Kultur- und Gedächtnisinstitutionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligten sich 2020 an GLAM-Aktionen und Coding da Vinci.

Obwohl pandemiebedingt die Türen der meisten Kulturerbe-Einrichtungen geschlossen bleiben mussten, konnten 2020 eine ganze Reihe hochklassiger GLAM-Veranstaltungen online stattfinden: vom Internationalen Museumstag über Vernetzungstreffen der Community bis zur virtuellen Kooperation mit dem Museum Sammlung Prinzhorn in Heidelberg. Viele Institutionen versuchen gerade in Krisenzeiten, neue Wege zu gehen, und öffnen sich den Wikimedia-Projekten.

Alles war schon für die GLAM-on-Tour-Station geplant: Die Verabredung mit der Universitätsbibliothek Marburg stand und 15 Ehrenamtliche hatten sich für die Veranstaltung angemeldet. Es sollte um die Erschließung mittelalterlicher Handschriften für die Wikipedia und ihre Schwester-Projekte gehen. Dann kam im März 2020 die Absage – verbunden mit der Perspektive, die Veranstaltung 2022 nachzuholen. „Da habe ich zum ersten Mal geschluckt“, erzählt Holger Plickert, Projektmanager Kultur & Community bei Wikimedia Deutschland. Anfang des Jahres hatte noch eine Wikipedianische KultTour in Balingen stattgefunden, angeregt von Benutzer Wuselig  – jetzt begann die Corona-Krise Gestalt anzunehmen.

Klar war aber auch schnell: Nichts zu machen ist keine Option. Plickert legte eine Diskussionsseite für die Community an, auf der Vorschläge für den weiteren Austausch, neue Kommuniktationswege und für virtuelle GLAM-Veranstaltungen gesammelt werden sollten, probierte alle verfügbaren Videotools aus, um mit Menschen im Gespräch bleiben zu können, hatte, wie alle in dieser Zeit, mit technischen Widrigkeiten zu kämpfen – und machte viele positive Erfahrungen. „Es sind sehr enge Beziehungen entstanden, gerade auch mit Menschen aus dem Museumsbereich. Mitarbeitende, die zuvor schon unsere Verbündeten in den Institutionen waren, bekamen in dieser Zeit Wind unter die Flügel.“ In den Kulturerbeeinrichtungen wuchs also das Bewusstsein für die Notwendigkeit, sich digitaler aufzustellen, mehr Partizipation und Zugänglichkeit zu ermöglichen und mehr zu teilen. 

Internationaler Museumstag stiftet Allianzen

Eine Reihe hochklassiger Veranstaltungen und Formate konnte 2020 digital stattfinden. Darunter der Internationale Museumstag im Mai, an dem sich neben Wikimedia Deutschland, Österreich und Wikimedia CH auch Frankreich und Italien beteiligt haben. Die Mitmachaktion hatte zum Ziel, die Sichtbarkeit und Präsenz von Kultur- und Gedächtnisinstitutionen in den Wikimedia-Projekten zu erhöhen. Auf einer interaktiven Karte konnten die Teilnehmenden einsehen, welche Museen bislang kaum oder gar nicht vertreten sind – und waren aufgerufen, das zu ändern. Zusätzlich wurde ein Wikidata-Workshop abgehalten, um mit den gewonnenen Informationen auch die freie Datenbank anzureichern.

Erfreulich war die positive Resonanz auf den Internationalen Museumstag in Verbänden wie dem „International Council of Museums“ (ICOM) oder dem Deutschen Museumsbund, so Plickert. „Wir brauchen Allianzen“, betont der Projektmanager. Man arbeite kontinuierlich darauf hin, dass sich die Erkenntnis durchsetze: „Wikipedianerinnen und Wikipedianer stehen nicht in Konkurrenz zu den Museen. Beide wollen Kulturgut bewahren, nur in verschiedener Form.“

Aktionen in Kaufbeuren und im virtuellen Raum  

Angesichts einer sich entspannenden Pandemielage im Sommer 2020 konnte tatsächlich auch eine Wikipedianische KulTour analog stattfinden. Auf Initiative von Benutzer PanTau wurde in Bayern die Sonderausstellung „Kaufbeuren unterm Hakenkreuz“ besucht. „Da Wikipedia eins der wichtigsten Nachschlagewerke im Internet ist, war es mir ein Anliegen, den Eintrag des Stadtmuseums zu aktualisieren“, so Museumsleiterin Petra Weber.

Mit dem „Arbeitskreis Bergische Museen“, in dem 20 Häuser verschiedener Größe und Ausrichtung zusammengeschlossen sind, fand dagegen eine hybride Veranstaltung statt. Drei Wikipedianerinnen und Wikipedianer aus der Region waren vor Ort, der Rest schaltete sich online zu. „Auch so funktioniert Zusammenarbeit“, stellt Plickert fest.

Das jährliche Koodinierungs- und Vernetzungstreffen der GLAM-Community – stets ein wertvolles Event für den Austausch – wurde wiederum an zwei Tagen ausnahmslos digital abgehalten. Besonders hervorzuheben ist, dass der Kontakt sowohl zur Community, als auch zu den Institutionen 2020 nie abriss.

Wertvolle Zusammenarbeit mit der Sammlung Prinzhorn

Ein besonderes Highlight in diesem Ausnahmejahr war schließlich eine virtuelle Veranstaltung mit dem Museum Sammlung Prinzhorn, einem Heidelberger Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen. Der historische Bestand umfasst rund 6000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen und Texte von Insassen psychiatrischer Anstalten, die zwischen 1840 und 1945 entstanden.

Es ist ein Thema, das besondere Sensibilität verlangt. Dr. Thomas Röske, Leiter der Sammlung Prinzhorn, schrieb im Vorfeld eine Einführung und gab auch einen Impuls für die GLAM-Community. Zudem rahmte Prof. Dr. Maike Rotzoll – Professorin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Heidelberg – die Veranstaltung mit einem Vortrag über die Verbrechen der Nationalsozialisten an psychisch kranken Menschen.

Im Nachklang entstand eine Reihe von Artikeln für die Wikipedia. „Ich finde, wir haben uns würdig mit dem Thema auseinandergesetzt“, so Plickert. Es ist ein weiteres Beispiel für eine Kooperation, die für beide Seiten einen Gewinn bedeutet. „Die Artikel über die Sammlung Prinzhorn und einige ihrer Werke werden sie international bekannter machen und andere anstiften, sich damit zu befassen, auch wissenschaftlich“, sagt Thomas Röske. Maike Rotzoll ist davon überzeugt, dass „die Zusammenarbeit mit Wikimedia ein Gewinn (ist), da auf diese Weise Texte vor allem zu Künstler*innen der Sammlung entstehen und im Internet präsent werden, auch zu solchen, die bislang noch kaum bekannt sind. Dadurch wird auch die thematische, biografische und künstlerische Vielfalt der Künstler*innen in einer breiten Öffentlichkeit sichtbar.“