Wikimedia-Accelerator: UNLOCK your ideas!

5 Projektteams wurden in der ersten Runde des Wikimedia Accelerator-Programms “Unlock” gefördert.

Gesucht: the next Wikipedia! Der UNLOCK Accelerator fördert Projekte und Ideen, die zu einer offenen und informierten Wissensgesellschaft beitragen. Die Resonanz war schon in der ersten Runde erfreulich hoch. Fünf Teams wurden 2020 bei der Entwicklung von innovativen Lösungen und Ansätzen begleitet. Künftig wird UNLOCK auf den gesamten europäischen Raum ausgeweitet.

„An welchen Wissensformaten arbeiten Menschen? Welches Projekt hat das Potenzial, the next Wikipedia zu werden? Welche Menschen assoziieren sich noch nicht mit unserem Movement, obwohl sie sich für dieselbe Vision einsetzen?“ Diese Fragen, erzählt Kannika Thaimai, Leiterin Innovationsmotor bei Wikimedia Deutschland, haben den Impuls für den UNLOCK Accelerator gegeben. Ein Programm, das im Mai 2020 erstmals gestartet ist. Bewerben konnten sich dafür Teams aus den verschiedensten Zusammenhängen. „Studierende, Menschen aus dem Kultur- und Kreativbereich, Social Entrepreneurs“, so Thaimai. „Wir wollten alle Menschen adressieren, die an sinnstiftenden Projekten technischer oder nicht technischer Natur mit Fokus auf Freiem Wissen statt Profit arbeiten.“

Fünf Teams wurden in der ersten UNLOCK-Ausgabe von einem Beratungsgremium ausgewählt – unter 56 Bewerbungen, was eine überraschend hohe Resonanz bedeutete. Einreichungen waren zu fünf Themenfeldern möglich, die gegenwärtige Herausforderungen auf dem Weg zu einer digitalen, fairen und inklusiven Wissensgesellschaft abbilden. Darunter befinden sich „Wissensnetzwerke“ – verbunden mit der Frage, welche technischen Entwicklungen es gibt, die einen ähnlichen Impact haben könnten wie Wikipedia, beschreibt Thaimai. Unter dem Schlagwort „Wissensproduktion“ wurde nach innovativen Geschäftsmodellen für Open-Source- und Freies-Wissen-Projekte jenseits der Marktdiktate gesucht. Hinter „Wissensgesellschaft“ wiederum steht die Überlegung, wie wir ein neues Momentum für Freies Wissen schaffen können, eine Art Fridays for Free Knowledge. Die meisten Bewerbungen, so Thaimai, gab es zum Feld „Wissenskompetenz“. Hier geht es um den Zugang zu digitalen Möglichkeiten, an Wissen teilzuhaben, eine „Digital Literacy“, die sich nicht nur auf Technologie, sondern auch auf Verstehen, Vermitteln und Bewerten von Wissen geht.

Der UNLOCK Accelerator bietet den Teilnehmenden ein dreimonatiges, strukturiertes Online-Programm. Die ausgewählten Teams werden methodisch von Coaches begleitet, die ihnen helfen, ihre Idee bis zum Prototypen zu entwickeln. Punktuell findet eine Vernetzung mit weiteren Expert*innen statt, die Impulse geben. Auch der Erfahrungsaustausch zwischen den Teams wird befördert.

Zu den Projekten, die 2020 ausgewählt wurden, zählten neben der App „Face the Facts“ (s. Fokus) etwa „Audiopedia“: das Vorhaben, hörbares Wissen zu schaffen. „Audiopedia“ wurde für Länder des globalen Südens und speziell für marginalisierte Bevölkerungsgruppen konzipiert. Entsprechend soll es in „Audiopedia“ auch weniger um enzyklopädische Beiträge gehen, als vielmehr um Aufklärung zu alltäglichen Fragen, z. B. „Wie ernähre ich mein Kind gesund, was muss ich bei dieser oder jener Krankheit beachteten?“, erklärt Thaimai. Ein weiteres Gewinnerprojekt war „Communitybasierte Zertifizierung von Open-Source-Hardware“. Den Begriff Open Source bringe man ja meistens nur mit Software in Verbindung, so die Projektleiterin – hier ginge es darum, die Baupläne von Hardware nachhaltig und mit DIN-Zertifikat zu dokumentieren („Wie sieht es eigentlich in meinem Smartphone aus?“).

Die erste Ausgabe des UNLOCK Accelerators hat viele wertvolle Erkenntnisse produziert. Zum Beispiel, wie sehr es auf eine passende Zusammensetzung der Teams ankommt, sodass sie produktiv arbeiten können.

Für die zweite Runde wurden vom UNLOCK Team – zu dem neben Thaimai die Programm-Managerinnen Lucia Obst und Mia Kunert zählen – nun einige Änderungen umgesetzt, die den Horizont des Accelerators weiten: „Das Projekt läuft 2021 in englischer Sprache und sucht Bewerbungen aus ganz Europa“, so Thaimai. Statt fünf Themenfeldern gibt es nun einen thematischen Fokus. Konkret sind Ideen und Lösungen – wiederum technischer und nicht-technischer Natur – gesucht, die das Vertrauen in Informationen und Technologien stärken. Auch werden jetzt bis zu sieben Teams statt fünf unterstützt.

„Wir sind gespannt auf die vielen großartigen Ideen aus dem europäischen Raum und freuen uns, dass wir mit der Erweiterung noch mehr Menschen unterstützen können“, so Kannika Thaimai.

FOKUS: „FACE THE FACTS

 „Face the Facts“ – gefördert von Wikimedias UNLOCK Accelerator – ist eine App, die mithilfe der Handykamera Informationen über Politiker*innen direkt am Wahlplakat sichtbar macht.

„Wir brauchen die besten Leute, die wir kriegen können, weil wir verdammt viel zu tun haben“, findet Victor Bellu. Er meint damit das politische Personal, das die Geschicke unseres Landes lenkt – angesichts enormer Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft: „Klimawandel, Digitalisierung, Automatisierung, dazu noch Extremismus und Flüchtlingswellen durch Armut und Krieg.“ Doch so groß die Aufgaben seien, so wenig wüsste man in der Regel über diejenigen, die sie als gewählte Volksvertreter*innen bewältigen sollen. „Die meisten Abgeordneten kommen über Landeslisten, die von Parteien aufgestellt werden, in die Parlamente“, führt Bellu weiter aus. Das erschwert zusätzlich die Bekanntheit von Politiker*innen in der Bevölkerung.

Darum hat sich Bellu – Studierender an der CODE Berlin|University of Applied Sciences – zusammen mit den Kommilitonen Fabian Volkers, Finn-Jordan Max, Oliver Köditz, Richard Krümmel und Takahiro Mitsui ein Projekt ausgedacht, das für mehr Transparenz und frei zugängliche Informationen sorgen soll: die Web-App „Face the Facts“. Deren Prinzip ist denkbar einfach: Mithilfe der Handykamera kann jede*r Informationen über Politiker*innen direkt am Wahlplakat abrufen. Technisch funktioniert dieser Scan über text recognition (eingelesen wird der Name auf dem Plakat) und face detection – was sich mehr empfiehlt als nur eine Gesichtserkennungssoftware, deren Algorithmus womöglich versagt, wenn eine Werbetafel zu arg verunstaltet ist.

Das „Face the Facts“-Team hat es mit dieser Idee ins Programm UNLOCK Accelerator geschafft – und wertvolle Unterstützung bei der Weiterentwicklung ihres Prototypen erhalten. „Ohne UNLOCK gäbe es uns nicht, oder wir wären nicht ansatzweise so weit“, sagt Victor Bellu.

Was die App bereits bietet, sind Features zu politischen Schwerpunkten von Abgeordneten – darunter Ausschüsse, in denen sie ihre Zeit verbringen, das vergangene Abstimmungsverhalten oder Nebentätigkeiten. Das warf im Falle des Beispielkandidaten Christian Lindner von der FDP gleich technische Probleme auf, erzählt Bellu. Dessen Nebentätigkeitsliste (in der jeder Vortrag aufgelistet wird) umfasste etliche Seiten und sprengte den Platz.

Die Informationen, mit denen Bellu und seine Mitstreiter ihre App füttern, sind dabei alle frei verfügbar. „Wir tragen sie nur zusammen und bereiten sie auf.“ Quellen sind die Seite des Bundestages, und viele Daten stammen auch von Abgeordnetenwatch.de., so etwa Informationen zu politischen Positionen. „Abgeordnetenwatch stellt im Kandidierendencheck Thesen auf, zum Beispiel: Sollte man Amazon & Co höher besteuern, ja oder nein – dazu können sich Politiker*innen mit einer kurzen Begründung verhalten.“ Wichtig ist Bellu, dass es bei „Face the Facts“ um objektive Informationen geht – und das fast völlig ohne redaktionelle Eingriffe.

Zurzeit arbeitet das Team an weiteren Features, zum Beispiel „Medienecho“. Das ist eine Rubrik, die dem Punkt „Kontroversen“ in Wikipedia-Artikeln ähneln und neutral zusammentragen soll, wie über die Politiker*in in der vergangenen Legislaturperiode in den Medien berichtet wurde. Dazu ist noch ein Edit-a-thon mit der Datenbank Wikidata geplant.

Gebaut wird die App mit Open Source. Sie ist außerdem so gebaut, dass sie mühelos auch in anderen demokratischen Ländern mit ähnlichem politischen System zum Einsatz kommen kann. Bellu würde sich über jede Adaption freuen und sagt: „Sorgt nur dafür, dass die Informationen neutral sind und die Leute Nutzen davon haben. Am Ende soll ‚Face the Facts’ ein Werkzeug sein, damit wir bessere Politiker*innen wählen können – parteiübergreifend, und nicht, um Wahlkampf zu machen.“