„Auch Bäumepflanzen ist Greenwashing“: ein Interview mit Lukas Mezger zu Wikimedia und Klimaschutz

Lukas Mezger, langjähriger Wikipedianer und scheidender Vorsitzender des Präsidiums von Wikimedia Deutschland, hat das Thema Klimaschutz zu seiner Herzensangelegenheit erklärt. Damit Gehör zu finden, gestaltet sich allerdings schwierig.

Was unternimmt Wikimedia für den Klimaschutz?

Der wirksamste Hebel, den das Wikimedia-Movement besitzt, ist eindeutig die Information. In der Wikipedia und ihren Schwesterprojekten bilden wir die Realität des menschengemachten Klimawandels und den Stand der Bemühungen ab, ihm entgegenzuwirken – in allen Sprachen der Welt, auf wissenschaftlichem Niveau, mit nachvollziehbaren Belegen, faktenbasiert zum Beispiel auf der Grundlage von Berichten des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), verständlich gehalten und aktuell. Zudem gibt es Initiativen wie das „Climate Translation Project”, das dafür sorgt, dass Artikel etwa über die Wüstenbildung in Nordafrika auch in den Sprachen Nordafrikas zur Verfügung gestellt werden.

Klingt nach Erfolgsgeschichte …

Ist es an dieser Stelle auch. Vor allem durch das Engagement der Freiwilligen erreichen wir Milliarden Menschen auf der Welt, klären über das Für und Wider von Gas, Kohle, Kernkraft genau so auf wie über die Entstehung der Klimakrise und das Artensterben. Das bedeutet nicht zuletzt einen Erfolg gegen die im Netz grassierende Desinformation. Im vergangenen Jahr hat zum Beispiel die britische BBC in einem Beitrag gewürdigt, wie Ehrenamtliche, teils interessierte Laien und teils ausgewiesene Fachleute, in der englischsprachigen Wikipedia mit seriösen Quellen gegen Klimawandelleugner und Falschinformation ankämpfen.

Wie ausgeprägt ist das Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei der Wikimedia Foundation und ihren weltweiten Chaptern selbst?

Das habe ich mich 2015 auch zu fragen begonnen – und festgestellt, dass an dieser Stelle noch gar nichts unternommen wurde. Was der Impuls war, eine Nachhaltigkeitsinitiative zu starten, die „Wikimedia Sustainability Initiative“.

Es geht darum, dass wir alle unsere Hausaufgaben machen müssen. Auch der Hersteller von Windrädern sollte darauf schauen, dass seine Fabrik mit Ökostrom betrieben wird und seine Mitarbeitenden weniger fliegen. Das Gleiche gilt für die Wikimedia Foundation. Die Wikipedia hat zwar keinen hohen Energieverbrauch im Vergleich zu videointensiven Plattformen wie Netflix oder YouTube, die den CO2-Fußabdruck des Internets prägen. Aber wir könnten ein Zeichen setzen.

Welche Ziele hat die Nachhaltigkeitsinitiative noch – und findet sie Gehör?

Weitere Ziele sind, internationale Flüge zu begrenzen, die zwei Drittel des CO2-Ausstoßes im Wikiversum ausmachen – was aufgrund der Pandemie mittlerweile geschieht, vorher aber für unmöglich erklärt wurde. Und: Das Vermögen der Wikimedia Foundation grün anzulegen, dafür zu sorgen, dass nicht über bestimmte Fonds in Öl oder Waffen investiert wird. Stand heute haben 764 Wikipedianer*innen meinen Appell an die Foundation unterzeichnet.

Das Resultat war, dass der Aufsichtsrat in San Francisco 2018 den Beschluss gefasst hat, grüner zu werden. Was aber leider bislang keine wirklich spürbaren Auswirkungen hatte. Es gab aber in den vergangenen sieben Jahren keine internationale Wikimedia-Konferenz, auf der ich nicht einen Vortrag über das Thema Klimaschutz gehalten hätte.

Aber offensichtlich dringe ich bislang nicht richtig durch.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

Meine Konsequenz ist, das Engagement auf Chapter-Ebene zu verlegen. Ich habe 2021 einen Klub der Willigen gegründet, die gemeinsam schauen: Was können wir in unserer kleinen Welt verändern? Dazu zählen Wikimedia Frankreich, Südafrika, Italien, Großbritannien, der indische Bundesstaat West-Bengalen und die Wikimedianer*innen der „Tamazight User Group“, die sich den Berbersprachen des nordafrikanischen Raums widmen.

Was konkret unternehmen die Chapter?

Wir wollen in unseren Büros auf Ökostrom umstellen, selbst wenn dort nur drei Mitarbeitende tätig sind. Wir sprechen uns für eine Reisekostenrichtlinie aus, die Flüge erschwert. Wikimedia Italien geht mit dem Beispiel einer grünen Anlagestrategie für die Mittel voran, über die sie verfügt, selbst wenn es nicht viel Geld ist. Auch eine Begrenzung von Offset-Initiativen gehört dazu. Das heißt: Wir pflanzen keine Bäume als Ausgleich für den CO2-Verbrauch – denn das ist letzten Endes auch nur Greenwashing. Es ist besser, erst gar kein Kerosin zu verbrennen, statt weiter um die Welt zu jetten und hinterher ein paar Bäume zu pflanzen.

Inwiefern können Sie damit beispielgebend wirken?

Wir zeigen im Kleinen, was auch im Großen möglich wäre. Und wir halten den Austausch und die Kommunikation über Klimaschutz am Laufen, um dadurch mittelbar eben doch Druck auf die Wikimedia Foundation auszuüben. Es geht darum, dass wir eine gesamtgesellschaftliche Transformation durchmachen. Allen voran ist die Politik, sind die großen Energiekonzerne gefragt. Aber auch jede*r Einzelne. Wir alle müssen unseren Teil beitragen.