Rahmenbedingungen
Starke Bündnisse für Freies Wissen – unsere Stimme in der Politik


Wie frei Wissen zugänglich ist, hängt von politischen Entscheidungen und von rechtlichen Rahmenbedingungen ab. Deswegen kämpft Wikimedia Deutschland dafür, dass die Politik bessere Rahmenbedingungen für Freies Wissen schafft – nicht nur in Deutschland, auch auf internationaler Ebene. Auch 2024 haben wir uns bei Entscheidungsträger*innen in Politik, Bildung und Kultur Gehör verschafft.
Zehn Handlungsempfehlungen für eine offene KI in der Bildung
In immer mehr Lebens- und Arbeitsbereichen werden generative KI-Anwendungen wie ChatGPT & Co eingesetzt. Während auch Schüler*innen mit und über Künstliche Intelligenz lernen wollen, wächst gleichzeitig die Sorge vor den Risiken: Die meisten KI-Modelle sind kommerziell und ihre Funktionsweise ist intransparent, ihre Antworten sind oft unzuverlässig und es fehlt an Regularien und kritischer Reflexion. Wenn also KI-Anwendungen zunehmend das Lernen und Lehren mitgestalten, wie können gemeinwohlorientierte, offene und datenschutzkonforme Alternativen aussehen? Um diese Frage zu diskutieren, haben wir 2024 das Forum offene KI in der Bildung gestartet. Mit dabei: Bildungswissenschaftlerin Nele Hirsch, Beteiligte der Initiative „Mehr Offenheit bei KI in der Pädagogik“ und zahlreiche Expert*innen aus dem Bildungsbereich.
Daraus entstanden sind 10 bildungspolitische Handlungsempfehlungen zu Infrastruktur, Bildungspraxis und rechtlichen Grundlagen.

Zwei wichtige Erkenntnisse, die wir beim Forum gewonnen haben, sind: Bund und Länder sollten unbedingt Lern- und Weiterbildungsressourcen zu KI unter freien Lizenzen finanzieren. Und sie sollten gemeinsam öffentliche digitale Infrastrukturen zum Hosten offener KI-Systeme bereitstellenDr. Anne-Sophie Waag, Referentin Bildungspolitik
Bei der Vorstellung der Ergebnisse wurde deutlich, dass die Empfehlung, eine neue Fortbildungskultur und -struktur mit offenen Formaten zu schaffen, politische Unterstützung findet. Parteiübergreifend waren sich die Teilnehmenden auch einig darin, dass offene und transparente KI-Systeme in der Bildung zum Einsatz kommen sollten.
Um die Umsetzung der Handlungsempfehlungen voranzutreiben, war 2024 geprägt von intensiven Gesprächen mit Mitgliedern des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, mit Mitarbeitenden des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie den Landesinstituten für Lehrkräftebildung und den Landesmedienzentren. Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) lud uns ein, unsere Erkenntnisse zu präsentieren.
2025 setzen wir den Dialog mit der Tagung „Offene KI in der Schule“ fort. In Kooperation mit dem Landesinstitut Niedersachsen wollen wir die Potenziale offener KI-Anwendungen sichtbar machen und ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Voraussetzungen nötig sind, um sie sinnvoll in der Bildung einzusetzen.

Bundesregierung erkennt digitales Ehrenamt an – endlich!
Mit viel Energie haben wir auch 2024 unseren jahrelangen Einsatz für das digitale Ehrenamt vorangetrieben. Wir klärten darüber auf, wie sich das digitale vom analogen Ehrenamt unterscheidet, welche Mitmach-Möglichkeiten es gibt und welche politischen Rahmenbedingungen nötig sind, um das digitale Ehrenamt wirksam zu fördern. Gehör fanden wir 2024 gleich mehrmals: Beim Bürgerfest des Bundespräsidenten beantworteten wir viele Fragen rund um die Wikipedia, Wikimedia Commons und Wikidata und konnten den Besucher*innen zeigen, wie vielfältig das digitale Engagement ist.
Auch das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend hat dies 2024 erkannt. Nachdem wir darauf hingewiesen hatten, dass digitales Ehrenamt in die Engagementstrategie aufgenommen werden sollte, tauschten sich Vertreter*innen des Ministeriums mit dem Team Politik und öffentlicher Sektor erfolgreich aus. In der Anfang Dezember veröffentlichten Engagementstrategie hat die Bundesregierung erstmals das digitale Ehrenamt als eigenständige Form des Engagements anerkannt – das ist ein Meilenstein.
Rückschlag und Teilerfolg: Der Kampf für freie Prüfungsaufgaben geht weiter

Natürlich lassen sich nicht alle Kämpfe sofort gewinnen, wie das Projekt „Verschlusssache Prüfung“ zeigt. Seit Jahren fordern wir gemeinsam mit dem Portal für Informationsfreiheit, FragDenStaat, dass Prüfungsaufgaben aus den Vorjahren digital und öffentlich zugänglich sind – immerhin wurden sie mit öffentlichen Mitteln finanziert. Allerdings verkaufen oder verschenken noch immer zahlreiche Kultusministerien die Lizenz für die Veröffentlichung an Verlage, die damit Profit machen. Für uns ist das ein Unding! Deshalb starteten wir im März 2024 eine Petition, um den Kultusministerien der Länder zu zeigen, dass viele Menschen unsere Forderungen teilen. Doch obwohl fast 55.000 Unterschriften zusammenkamen, verweigerte uns die Kultusministerkonferenz die Übergabe der Petition. Immerhin kündigte das Kultusministerium Baden-Württemberg an, alte Prüfungsaufgaben ab sofort frei zur Verfügung zu stellen – ein Teilerfolg.
Wikimedia Deutschland initiiert Community of Practice für freien Zugang zu Kultur
Immer mehr Museen und Kultureinrichtungen stellen ihre Sammlungen – oder Teile davon – digital und frei lizenziert zur Verfügung. Das ermöglicht nicht nur virtuelle Rundgänge durch Kunstsammlungen, auch Forschenden erschließen sich neue Möglichkeiten. Allerdings profitiert die Wissenschaft vor allem dann, wenn die Kulturdaten nicht nur offen, sondern auch vernetzt sind. Erst die Verknüpfungen, die mit Linked Open Data möglich werden, öffnen den Blick für bisher unentdeckte Zusammenhänge – gerade in Bezug auf die Forschungsverdienste marginalisierter Gruppen. Zum Beispiel, wenn es um Frauen geht, die wichtige Forschungsarbeit geleistet haben, deren Verdienste bislang aber Männern zugeschlagen wurden. Oder um lokale Guides oder Sammler*innen aus dem Globalen Süden, die in Kolonialzeiten (längst nicht immer freiwillig) entscheidend an westlichen Forschungsreisen beteiligt waren, aber in der offiziellen Geschichtsschreibung der Museen nie Erwähnung fanden. Durch Linked Open Data können sie Sichtbarkeit erlangen.
Linked Open Data einfach erklärt
Linked Open Data (LOD) bedeutet, dass frei zugängliche Daten miteinander verknüpft werden. So können Informationen aus verschiedenen Quellen kombiniert und besser genutzt werden. Ein Beispiel: Eine Datenbank über berühmte Persönlichkeiten wird automatisch mit einer Datenbank über Geburtsorte verknüpft. LOD macht Wissen vernetzbar und maschinenlesbar – ähnlich wie Wikipedia, aber mit strukturierten Daten.

Wikimedia Deutschland fördert die Vernetzung von offenen Kulturdaten und die Arbeit derer, die damit digital auf Forschungsreisen gehen. Unser Ziel für das Jahr 2024 war der Aufbau der Community of Practice (CoP) – einer praxisnahen Gemeinschaft von etwa 40 Fachleuten, die sich austauschen und voneinander lernen. Dazu gehören Sachverständige aus Kulturerbe-Institutionen, die ihre Sammlungen öffnen und Kulturdaten zugänglich machen, Forschende aus den Geistes- und Kulturwissenschaften sowie fachkundige Wikimedia-Ehrenamtliche. In der CoP entwickeln sie gemeinsam Verfahren, um die freie Wissensdatenbank Wikidata zu nutzen und zu erweitern, das Medienarchiv Wikimedia Commons zu bearbeiten oder mit der Software Wikibase eigene Datenbanken zu erstellen und mit anderen offenen Datenbeständen zu verknüpfen.
Die neue Community of Practice trägt den Namen „WikiKult – Offene Kulturdaten“ und trifft sich seit 2024 regelmäßig. Die Teilnehmer*innen tauschen sich über Erfahrungen aus Projekten aus, teilen ihr Wissen über Fördermöglichkeiten oder Hindernisse, denen sie begegnen, und entwickeln Strategien weiter, wie sie Wissen teilen und Kulturerbe öffnen können.
Gemeinsam für ein besseres Internet
Getreu dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ haben wir uns auch 2024 mit anderen Organisationen zusammengeschlossen, um das Internet offener und gerechter zu gestalten. Im Bündnis Transparenzgesetz haben wir eine Petition mit über 51.000 Unterschriften an Abgeordnete der Regierungsparteien SPD, Grünen und FDP übergeben. Die Forderung: Das von der Bundesregierung angekündigte Bundestransparenzgesetz muss kommen! Damit Behörden und Ministerien Informationen über die eigene Arbeit veröffentlichen sowie Wissen, das mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, von sich aus frei und digital verfügbar machen müssen – für alle Bürger*innen und damit auch für offene Wissensprojekte wie die Wikipedia. Bis zum Ende der Ampelkoalition brachte das Bundesinnenministerium allerdings keinen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag.
Im Koalitionsvertrag und der Digitalstrategie formulierte die Bundesregierung das Ziel, die digitale Souveränität der Verwaltung durch Open-Source-Software und offene Standards zu stärken. Doch während der Open-Source-Anteil an den Bundesausgaben für Software-Entwicklung seit Beginn der Legislaturperiode nur 0,5 Prozent betrug, flossen Milliarden in Software-Lösungen großer Tech-Unternehmen. Im November 2024 forderten wir zusammen mit weiteren Vereinen, Haushaltsmittel für 2025 umzuschichten.

Öffentliche Mittel müssen in freie und nachhaltige Software fließen – für mehr Unabhängigkeit und Zukunftsfähigkeit in der Verwaltung. Dafür sollte die Bundesregierung ein Zieldatum für den Umstieg definieren und endlich Haushaltsmittel in Open Source investieren.Lilli Iliev, Leiterin des Teams Politik und öffentlicher Sektor

Freies Wissen weltweit stärken – unser internationaler Einsatz
Nicht nur in Deutschland, auch auf EU- und internationaler Ebene setzen wir uns für Offenheit, Transparenz und Gemeinwohl in der digitalen Politik ein. Während Konzerne mit Lobbyarbeit die Entscheidungen in Brüssel beeinflussen, kämpfen wir dafür, dass gemeinwohlorientierte Plattformen wie Wikipedia eine noch stärkere Stimme erhalten, Alternativen wie Mastodon oder Pixelfed mehr Zulauf erhalten und offene digitale Infrastrukturen durch europäische Gesetzgebung gefördert werden.

Um unsere Wirksamkeit zu verstärken, ist Wikimedia Deutschland Mitglied von Wikimedia Europe, einem Zusammenschluss von 22 Wikimedia-Organisationen. Zudem bilden wir auch auf europäischer Ebene anlassbezogene Bündnisse, wie etwa im November 2024 bei einem gemeinsamen Appell an die EU-Kommission, ein Verbot von personalisierter Werbung im Internet durchzusetzen. Oder in einer Allianz verschiedener Akteur*innen anlässlich des AI Act: In einem Offenen Brief forderten wir ein Verbot biometrischer Überwachung. Wer Wissen (angst)frei im Netz teilen will, muss sich sicher sein können, dass er oder sie nicht überwacht wird.
Auf internationaler Ebene haben wir unsere politische Arbeit im Jahr 2024 auf den Global Digital Compact (GDC) der Vereinten Nationen ausgerichtet. Mit dem GDC, der 2024 verabschiedet wurde, entstanden weltweite Leitlinien für ein freies, offenes und sicheres Internet. Wir wollen hier deutlich machen, dass digitale Gemeingüter (Digital Public Goods) wie die Wikipedia, freie Software oder offene Lernressourcen ein wichtiger Baustein sind, um genau das zu erreichen. Denn sie fördern digitale Teilhabe und ermöglichen Zugang zu Wissen für alle. Die Empfehlungen, die wir gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen aus der Wissenschaft erarbeitet haben, haben wir dem Auswärtigen Amt mit in die Verhandlungen um den GDC gegeben. Kurz vor der Verabschiedung im November 2024 betonte unsere Geschäftsführende Vorständin Franziska Heine auf dem Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen die Bedeutung digitaler Gemeingüter für eine nachhaltige und gerechte Digitalisierung (mehr dazu im Artikel Wikimedia).
Wikipedia offiziell als Digital Public Good anerkannt
Je mehr Macht Tech-Oligarchen, kommerzielle Plattformen und Datenkraken im digitalen Raum bekommen, desto wichtiger ist es, die öffentlichen, gemeinnützigen und wirklich sozialen Orte im Netz zu stärken. Gemeint sind digitale Gemeingüter, auch Digital Public Goods genannt. Die Digital Public Goods Alliance, eine Initiative der Vereinten Nationen, hat Anfang 2025 die Wikipedia zu einem öffentlichen Gut erklärt, weil sie UN-Ziele wie den Zugang zu Bildung und den Abbau von Ungleichheiten voranbringt.