21.11.2024
EU-Kommission sollte beim Verbot von personalisierter Werbung vorangehen
Die EU-Kommission wird aktuell neu besetzt. Im Sinne des Verbraucherschutzes, der Stärkung digitaler Grundrechte und des Klimaschutzes, sollte die Kommission sich schnell auf den Weg machen, den Online-Werbemarkt bei einer zeitgemäßen Umgestaltung zu unterstützen. Dafür braucht es ein Verbot von personalisierter Werbung. Das fordert Wikimedia Deutschland gemeinsam mit Germanwatch, dem Chaos Computer Club, dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, und dem Konzeptwerk Neue Ökonomie.
Wie ist die aktuelle Situation?
Personalisierte Werbung finanziert heute den Großteil der Angebote im Internet. Alphabet, das Mutterunternehmen von Google, generiert nach eigenen Angaben 76 % seines Umsatzes durch Werbung, Meta, das Mutterunternehmen von Facebook und Instagram, 97 %. Online wird individuelles Verhalten für Werbezwecke detailliert verfolgt, um Werbesegmente und Profile zu erstellen.
Mit dem Gesetz über Digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) und der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat die EU wichtige Grundsteine zum Schutz von Online-Nutzer:innen gelegt. Gleichzeitig zeigen Reaktionen großer Unternehmen auf diese Regelungen, dass die Freiheit vor manipulativen Praktiken durch die Werbeindustrie beharrlich untergraben wird.
Auch der kürzlich veröffentlichte Digital Fairness Check kommt zu dem Schluss, dass das EU-Verbraucher*innenrecht nicht ausreicht, um Bedenken hinsichtlich der kommerziellen Personalisierung im digitalen Raum auszuräumen. Als Teil der digitalen Infrastruktur sollten Plattformen sich von der Überwachung Einzelner zu Vermarktungszwecken lösen. Alternative (z.B. kontextbasierte) Werbemodelle eröffnen Möglichkeiten, Menschen jenseits des allgegenwärtigen Trackings und Targetings zu erreichen und sie dadurch in Datenverarbeitungsprozessen zu schützen.
Das sind unsere Argumente
Tracking-basierte Personalisierung von Werbung …
… birgt eine Gefahr für Demokratie und sozialen Zusammenhalt. Bekannte Risiken und schädliche Effekte reichen von Diskriminierung über Manipulation und Desinformation bis zu Hass und Hetze. Eine Metastudie zeigt: In Demokratien korreliert die Nutzung (oft werbefinanzierter) digitaler Medien mit gesellschaftlicher Polarisierung und dem Verlust von Vertrauen in Institutionen. Zudem kann durch die Verbreitung politischer Botschaften über Werbeanzeigen die Weltwahrnehmung Einzelner beeinflusst und damit der öffentliche Diskurs manipuliert werden. Ein populäres Beispiel hierfür ist die „Cambridge Analytica“-Kampagne zum Brexit. Bislang scheitern Plattformen wie TikTok laut einer Untersuchung daran, das Verbot von politischer Werbung umzusetzen. Über Werbezielgruppen (Segmente) wie z. B. „deutsches Militär“, „Richterin“, „Entscheidungsträgerin“ können zudem gezielt Menschen in Entscheidungspositionen verfolgt und manipuliert werden, was ein zusätzliches Sicherheitsrisiko darstellt.
… missachtet die Privatsphäre und verhindert informationelle Selbstbestimmung. Der umfassenden Überwachung durch Tracking können Verbraucher:innen kaum entkommen. Sich diesem starken Eingriff in die Privatsphäre zu entziehen, ist ohne einen Verlust gesellschaftlicher Teilhabe nur schwer möglich. Es besteht ein massives Informations- und Machtungleichgewicht: Nutzer:innen können nicht nachvollziehen, wo ihre Daten erfasst, gespeichert und ausgewertet werden, während einige wenige Tech-Unternehmen den Markt dominieren. Gleichzeitig besteht die Online-Werbebranche aus einem kleinteiligen und weitverzweigten Geflecht aus Akteuren wie Werbetreibenden, Agenturen, AdTech-Unternehmen, Plattformen, Werbebörsen und -netzwerken. Zu wissen, wo welche Daten gespeichert und verarbeitet werden, ist in diesem Geflecht nicht möglich, was die informationelle Selbstbestimmung unterminiert.
… steigert Europas Abhängigkeit von Big Tech und fördert Monopolbildung. Globale Tech-Konzerne vereinen große Teile des Online-Werbemarktes auf sich, wodurch sie Praktiken und Regeln maßgeblich mitbestimmen können. Beispielsweise gingen im letzten Jahr 39 % der weltweiten Ausgaben für digitale Werbung an Google, das mit weiteren Schwergewichten wie Amazon und Meta den Online-Werbemarkt dominiert. Diese seit Jahren bestehende Marktkonzentration erschwert die nachhaltige Gestaltung digitaler Plattformen und schränkt demokratische Handlungsoptionen ein. Die bestehende Monopolisierung hemmt soziale Innovationen und den Aufbau gemeinwohlorientierter Plattformen.
… schadet dem Klima. Das Sammeln von Daten für Marketing verursacht einen wesentlichen Teil des rasant steigenden Energieverbrauchs durch das Internet. Tracking, Profilbildung, Vorhersage-Modelle und Datenhandel erzeugen permanent und überall enorme Datenströme, deren Verarbeitung Rechenleistung erfordert und CO₂-Emissionen erzeugt. Eine Forschungsgruppe schätzt den jährlichen Stromverbrauch durch Online-Werbung bereits 2016 auf 107 Terrawattstunden – das entspricht etwa dem doppelten jährlichen Stromverbrauch Portugals. Eine weitere Studie24 zeigt, dass bei Gaming-Apps über 30 % und bei Wetter-Apps 4 bis 15 % des Datenverkehrs auf Third-Party-Tracking zurückgeht. Ohne den Anreiz, das Online-Verhalten für Marketing zu verfolgen, könnten klimaschädliche Datenflüsse reduziert werden. Zudem führt der zusätzlich angeregte Konsum zu weiteren Klima- und Umweltschäden. Mit einem passgenauen Zuschnitt von Werbeangeboten wird es wahrscheinlicher, dass Internetnutzer:innen zu intensiverem Konsum verleitet werden, was höhere Emissionen nach sich zieht. Zusätzlich besteht das Risiko, dass die Online-Verbreitung von Klima-Desinformation die Umsetzung25 dringend erforderlicher Transformationsschritte hemmt.
Pressekontakt
Franziska Kelch / Leitung Kommunikationsteam & Kommunikationsmanagerin politische Rahmenbedingungen
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