Statement: Jöran Muuß-Merholz

  • Jöran Muuß-Merholz

Wie muss Bildung in der vernetzten Gesellschaft funktionieren?

Wenn ich mir diese Frage stelle, dann liefert mir der Unterschied die Antwort – indem ich „Bildung von gestern“ und „Bildung für morgen“ gegenüberstelle. Da lässt sich erkennen, dass Bildung mehr Offenheit benötigt. Wobei man den Begriff „Offenheit“ in unterschiedliche Richtungen ausdifferenzieren kann, zum Beispiel:

  • Offenheit im Sinne von „offene Gesellschaft“ – also Bildung, die für Demokratie, Pluralismus und Toleranz eintritt.
  • Offenheit im Sinne von „gestaltbares Lernen“ – also Bildung, die sich als partizipativen Prozess versteht und auf Souveränität und Mündigkeit abzielt.
  • Offenheit im Sinne von „offener Ausgang“ – also Bildung, deren Ergebnisse auf neue Entwicklungen eingehen können.
  • Offenheit im Sinne von „Zusammenarbeit“ – also Bildung, in der Menschen nicht isoliert oder in Konkurrenz, sondern miteinander lernen und arbeiten.

Ich setze mich für freie Bildungsmaterialien ein.

Der Fachbegriff heißt „Open Educational Resources (OER)“, was Materialien für das Lernen und Lehren meint, die von jederfrau und jedermann offen genutzt und weitergegeben werden können. Solche Materialien kann ich sogar, ohne jemanden fragen zu müssen, verändern, anpassen und neu zusammenstellen – und das Ergebnis dann wieder als OER mit der Welt teilen. Dahinter steckt ein Stück weit die Grundidee und übrigens auch die Lizenz, die wir von Wikipedia kennen.

Das Thema OER hat in den vergangenen Jahren im Zuge der Digitalisierung immer mehr an Bedeutung gewonnen und viele Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden: von der UNESCO über die OECD auf globaler Ebene, in der Großen Koalition in Deutschland und in einigen Landesregierungen, in der Bildungspraxis vieler Lernorte – und vereinzelt sogar in Verlagen.

Über freie Bildungsmaterialien zu sprechen, bedeutet, über gesellschaftliche Teilhabe und Bildungsgerechtigkeit zu sprechen.

Schauen wir uns noch einmal die Ziele an, die ich unter dem Stichwort „Offenheit“ gelistet habe. Bei jedem einzelnen können wir uns die Frage stellen: Erreichen wir das besser mit Bildungsmaterialien, die wir frei nutzen, weitergeben und anpassen dürfen – oder besser mit Materialien, die ich bezahlen muss oder die mir verschlossen bleiben, mit Materialien, die ich nicht anpassen kann, die ich nicht weitergeben darf? Ich bin überzeugt, dass die Antwort jeweils ganz klar „Mit OER geht es besser als ohne OER!“ lautet. OER ist hilfreich, wenn wir Bildung für eine offene Gesellschaft, Bildung als gestaltbaren und individuellen Prozess, als gerichtet auf Zukunft und Zusammenarbeit begreifen wollen.

Jöran Muuß-Merholz

Jöran Muuß-Merholz ist Diplom-Pädagoge und gründete 2009 die Agentur für Bildung "Jöran und Konsorten", die auf Bildung und Lernen in der digitalen Welt spezialisiert ist. Die Agentur entwickelt Projekte und Programme im Bildungsbereich und gibt Workshops und Vorträge zu aktuellen Themen der digitalen Bildung.