Grundeinkommen – Soziale Hängematte oder notwendige Sicherung?
Wir erleben gegenwärtig eine Situation, die alle Gewissheiten erodieren lässt. Ist es Zeit, die Diskussion über das Grundeinkommen zu beleben?
OLAF ZIMMERMANN: Im Kulturbereich ist es ja so: Die meisten Künstlerinnen und Künstler brauchen Geld, um überleben zu können. Aber sie machen nicht Kunst, um in erster Linie Geld zu verdienen – sondern weil sie obsessiv sind, sie müssen Kunst machen, sie können nicht anders. Die Corona-Krise hat viele von ihnen so hart getroffen, dass wir über alles Denkbare reden müssen, es gibt jetzt keine Tabus mehr. Manche Künstlerinnen und Künstler waren ja bereits wenige Tage nach dem ersten Lockdown im März 2020 ökonomisch am Boden. Der Wegfall einer Lesung, einer Aufführung oder eines Konzerts hat vielfach zu einer existenziellen Krise geführt. Auch vor der Corona-Krise war das Einkommen oftmals sehr bescheiden, deshalb sind heute so viele Künstlerinnen und Künstler in so großer Not. Die einzige Chance zur schnellen Hilfe bestand anfangs darin, einen verbesserten Zugang zur Grundsicherung zu schaffen – was viele Künstlerinnen und Künstlern nutzen mussten und müssen, obschon es ihnen widerstrebt. Das zeigt, dass wir eine Diskussion darüber brauchen, wie gerade der Bereich der Soloselbstständigen krisenfester gemacht werden kann – und das bedeutet, alle Möglichkeiten zu diskutieren.
ANTJE SCHRUPP: Was sich vor allem gezeigt hat, ist die Schieflage unseres Leistungsgedankens. Wir leben in einer globalen, komplex vernetzten Gesellschaft, in der die Möglichkeit, mit der eigenen Tätigkeit Geld zu verdienen, weder von Leistungsbereitschaft noch von Leistungsfähigkeit abhängt. In der feministischen Ethik reden wir schon seit 30 Jahren darüber, dass dieser Glaube an Autonomie und Selbstversorgertum die Verletzlichkeit und Bedürftigkeit des Menschen ausblendet. Was auch sichtbar geworden ist: dass durch unsere Fixierung auf Erwerbsarbeit die Selbstständigen generell keine Chance haben, sich auf so eine Ausnahmesituation vorzubereiten. Das muss dringend geändert werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine soziale Absicherung, die nicht davon abhängt, was für einen Erwerbsarbeitsplatz man hat.
„Wie wollen wir die gesellschaftlich notwendigen Arbeiten finanzieren, die der Markt nicht sicherstellt?“
Antje Schrupp
ZIMMERMANN: Wir müssen darüber reden, wie man eine angemessene Vergütung für künstlerische Tätigkeiten erreichen kann. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine wäre, sie im kapitalistischen System zu schaffen, zu schauen, wie die Nachfrage für künstlerische Produkte gesteigert werden kann und wie einfach mehr Einkommen mit Kunst erzielt werden kann. Aber wir müssen auch über Alternativen zur rein ökonomischen Verwertung nachdenken, dazu gehört auch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Aber ich warne davor, nur auf den Kulturbereich zu schauen, wenn wir über das Grundeinkommen reden. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen nur für Künstlerinnen und Künstler gefordert wird, sage ich klar nein. Denn dann müsste am Ende eine staatliche Behörde geschaffen werden, die festlegt, wer Künstlerin oder Künstler ist.
Die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen finde ich viel sinnvoller und gerechter. Davon würde ja der Kulturbereich auch profitieren, aber keine staatliche Stelle müsste über den Künstlerstatus entscheiden.
SCHRUPP: Ich finde es richtig, das Thema nicht entlang einzelner Berufsgruppen zu verhandeln. Wir sollten stattdessen verschiedene Segmente der Wirtschaft definieren. Besonders einen Bereich: Tätigkeiten, die zum allgemeinen Wohl der Gesellschaft beitragen, die notwendig sind und deshalb anders vergütet werden müssen als nur mit einem Grundeinkommen, aber gleichzeitig Tätigkeiten sind, die nicht in die kapitalistische Profitlogik passen, mit denen sich also kaum Geld verdienen lässt. Darunter fällt ein Großteil des Kulturbetriebs. Aber dazu gehören auch Hausarbeit, Care-Arbeit, Arbeit im Bereich von Community-Building, politischer Aktivismus, Tätigkeiten im Bildungsbereich, die nicht kapitalisierbar oder rentabel sind. Wie wollen wir diese gesellschaftlich notwendigen Arbeiten finanzieren, die der Markt nicht sicherstellt?
Ein Argument von Gegner*innen des Grundeinkommens lautet: Dann liegen alle nur noch in der Hängematte …
ZIMMERMANN: Davor hätte ich keine Angst. Im Kulturbereich würde sich eher die Produktivität erhöhen, wenn es eine bessere Absicherung gäbe. Im Moment erleben wir die Situation, dass viele sich anderen Dingen widmen müssen, um zu überleben: Taxi fahren, kellnern. Im Gegenteil, mit einem Grundeinkommen können sich mehr Künstlerinnen und Künstlern voll auf ihre künstlerische Tätigkeit konzentrieren. Ein großes Problem in der Pandemie ist ja, dass etliche aufhören, sich dem zu widmen, was eigentlich ihre Passion, ihre Berufung ist. Immer mehr Künstlerinnen und Künstler geben jetzt in der Pandemie ihren Beruf auf, sehen keine Zukunft mehr. Auch über solche Verluste müssen wir reden.
„Erwerbsarbeit ist wichtig, um sich entwickeln zu können, um mit anderen zusammenzuarbeiten und letztlich auch zusammen leben zu können.“
Olaf Zimmermann
SCHRUPP: Zunächst mal sichert das bedingungslose Grundeinkommen nur das Existenzminimum. Alle, die ein komfortables Leben führen möchten, sind also weiterhin motiviert, erwerbstätig zu sein. Ein Punkt, bei dem ich tatsächlich ins Nachdenken komme, ist aber die Frage nach den ungeliebten Arbeiten: Tätigkeiten in der Pflege, in der Reinigung, die wir momentan von Menschen, die keine andere Wahl haben, unter schlechten Bedingungen gegen schlechte Bezahlung erledigen lassen. Wenn aber zum Beispiel in den Krankenhäusern etliche kündigen, dann wird die Pflege an Töchtern und Schwiegertöchtern, auch an Söhnen hängen bleiben. Wir erleben durch die Rationalisierung im Pflegebereich bereits jetzt eine Verschiebung zurück in die Familien. Alle Bereiche, die nicht profitabel sind und nicht ehrenamtlich erledigt werden können, werden vernachlässigt. Und diese Dynamik könnte sich durch ein Grundeinkommen in der Tat zunächst verstärken.
ZIMMERMANN: Wir sollten an diesem Punkt nicht ausblenden, dass wir einen fundamentalen kulturellen Wandel nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern in vielen Teilen der Welt erreichen müssten. Wir haben so etwas wie ein protestantisches Arbeitsethos, das sich nicht nur in Deutschland durchgesetzt hat. Das hat viele positive Seiten. Man ist sehr produktiv, und diese Produktivität hat auch Wohlstand gebracht. Aber auch negative: zum Beispiel die enormen Belastungen derjenigen, die zu viel arbeiten müssen, wenig Zeit für die Familie, für die eigenen Kinder, für die eigene Entfaltung haben. Aber Erwerbsarbeit ist wichtig, um sich entwickeln zu können, um mit anderen zusammenzuarbeiten und letztlich auch zusammen leben zu können. Deswegen bin ich auch kein Freund des Homeoffice. Es sind doch auch soziale Räume, in denen wir zusammenarbeiten und auch zusammen leben.
SCHRUPP: Generell – und das gilt sowohl für die Erwerbsarbeit als auch die Frage nach dem Grundeinkommen – sollten wir aufhören zu glauben, alle Menschen hätten die gleichen Bedürfnisse. Wir brauchen mehr Toleranz für die Vielfalt an Vorlieben auch im Arbeitsleben. Dann gibt es mehr Rollenbilder und Modelle, an denen sich junge Menschen orientieren können: Will ich künstlerisch-kreativ frei sein, das aber rund um die Uhr, oder will ich meine acht Stunden im Büro arbeiten? Jede und jeder muss das Beste für sich finden.