Grundrechte vs. Urheberrecht: Was bei der Reform des europäischen Urheberrechts schiefgelaufen ist – und was jetzt passieren muss

  • Felix Reda

Ein Essay von Felix Reda

Die Ambitionen waren groß, als die Europäische Kommission 2014 eine grundlegende Reform des Urheberrechts ankündigte. Die nationalen Silos verschiedener Rechtssysteme sollten eingerissen, das Urheberrecht einheitlich und leicht verständlich gestaltet werden. Von einer Verordnung – also einem europaweit unmittelbar geltenden Urheberrecht – war die Rede. Doch die anfängliche Euphorie verpuffte schnell: Mitgliedstaaten befürchteten gravierende Einschnitte in ihre nationale Kulturpolitik. Und die Unterhaltungsindustrie weigerte sich, ihre regional sehr unterschiedlichen Vermarktungsstrategien an das digitale Zeitalter anzupassen. Dem europäischen Binnenmarkt zum Trotz machen deshalb viele Streaming-Angebote noch heute an Landesgrenzen halt.

Von einem europaweit einheitlichen Urheberrecht sind wir weiter entfernt denn je

Nach jahrelangem Ringen verabschiedete Brüssel 2019 schließlich keine Urheberrechtsverordnung, sondern eine Richtlinie, die Mitgliedstaaten erst in nationales Recht umsetzen müssen. Der Harmonisierung ist ein solches Vorgehen eher abträglich. Das Problem illustriert der besonders umstrittene Artikel 17, der bestimmte profitorientierte Online-Plattformen unmittelbar für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzenden haftbar macht. Um dieser Haftung zu entgehen, müssen die Plattformen sich bemühen, Urheberrechtsverletzungen auf Wunsch von Rechte-Inhabenden zu sperren. Diese Regelung provozierte Massenproteste – getragen von Netzaktivistinnen und Netzaktivisten, Influencerinnen und Influencern und Menschenrechtsgruppen. Sie kritisieren, dass den Uploadfiltern, die Urheberrechtsverletzungen aufspüren sollen, auch viele legale Nutzungen wie beispielsweise Zitate zum Opfer fallen werden.

Die EU-Institutionen zeigten sich überrascht von dem enormen öffentlichen Widerstand und schrieben kurzerhand in die Richtlinie, dass legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan – es gibt keinen Uploadfilter, der zuverlässig zwischen Urheberrechtsverletzung und legaler Nutzung unterscheiden kann. Die Verhandlungsparteien auf EU-Ebene wussten selbst nicht, wie die Mitgliedstaaten in der Praxis dafür sorgen sollen, dass Urheberrechtsverletzungen gesperrt werden, legale Nutzungen aber online bleiben.

Das Instrument der Richtlinie macht es dem europäischen Gesetzgeber einfach, offensichtlich widersprüchliche Regeln aufzustellen und die praktische Umsetzung den Mitgliedstaaten zu überlassen

Dass alle europäischen Hauptstädte die gleiche Antwort auf diese schwierige Frage finden werden, ist äußerst unwahrscheinlich, auch wenn die Europäische Kommission bemüht ist, Leitlinien zu entwickeln, unter welchen Umständen die Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks automatisch als „offensichtlich rechtswidrig“ eingestuft und gesperrt werden darf. Klar ist aber: Bei jeder automatischen Sperr-Regel werden auch Fehler passieren. Eigentlich hätten diese Diskussionen vor Verabschiedung der Richtlinie stattfinden müssen, um sich auf verbindliche gemeinsame Regeln zu einigen.

Die verschiedenen nationalen Umsetzungen werden nun zur weiteren Zersplitterung des europäischen Binnenmarkts beitragen

Die Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt ist keine kohärente Antwort auf die Grundsatzfrage, wie wir das Urheberrecht moderner und verständlicher gestalten können. Stattdessen enthält die Richtlinie eine lange Liste an Einzelnormen, die sich ganz bestimmten – tatsächlichen oder eingebildeten – Problemen verschiedener Branchen widmen. In Brüssel nennt man diese Regelungstechnik liebevoll einen Weihnachtsbaum – für jeden liegt ein Geschenk darunter. Die Musikindustrie bekommt die Uploadfilter, die Presseverlage das Leistungsschutzrecht*, die Kulturerbe-Einrichtungen bekommen neue Instrumente, um kommerziell nicht mehr verfügbare Werke ins Netz zu stellen. Nur die Endnutzenden sind weitgehend leer ausgegangen.

Die Frage, was ich als Privatperson mit urheberrechtlich geschützten Inhalten im Netz tun und lassen darf, ist so kompliziert wie eh und je

Die fehlende Harmonisierung des Urheberrechts fällt uns jetzt in der Pandemie auf die Füße. Binnen kürzester Zeit mussten wir nahezu alle Aspekte des öffentlichen Lebens in den virtuellen Raum verlegen. Zwar schafft die neue Richtlinie immerhin Mindeststandards für die Verwendung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Online-Unterricht, aber Schülerinnen, Schüler und Studierende können von diesen Regeln noch nicht profitieren, weil die Richtlinie erst in nationales Recht umgesetzt werden muss. Auch dabei werden die Mitgliedsstaaten wieder unterschiedliche Entscheidungen treffen – etwa, ob die Verwendung ganzer Werke im Unterricht erlaubt sein wird oder nur von Auszügen einer bestimmten Länge. Auf den kommerziellen Lernplattformen, die für den Online-Unterricht immer wichtiger werden, hält derweil langsam die automatische Rechtsdurchsetzung durch Uploadfilter Einzug – bislang noch auf freiwilliger Basis.

Das kann nicht lange gut gehen. Je stärker das Urheberrecht künftig von Maschinen durchgesetzt wird, desto schmerzlicher werden uns die Probleme unseres urheberrechtlichen Flickenteppichs bewusst werden.

Die EU braucht ein einheitliches, verständliches Urheberrecht

Dabei darf es keine Denkverbote geben, auch heilige Kühe der Urheberrechtsdogmatik wie die langen Schutzfristen oder der Ausschluss von Registrierungspflichten für urheberrechtlich geschützte Werke müssen auf den Prüfstand. Das verlangen inzwischen auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die diese Forderungen kürzlich unter dem Titel „Urheberrecht – Perspektive 2030“ auf einer Konferenz des Bundesjustizministeriums präsentiert haben. Nun muss die Politik nur noch auf diese Expertise hören.

Wikimedia-Salon „H=Harmonisierung. Welche Reform bekommen wir aus Brüssel?“ u.a. mit Felix Reda und Matthias Spielkamp

Felix Reda

Felix Reda leitet das Projekt "control ©: Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit" bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Der  Urheberrechtsexperte war von 2014 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments innerhalb der Fraktion Die Grünen/EFA und Vorsitzender der Young Pirates of Europe. Er forschte im Rahmen eines Fellowships am Berkman Klein Center for Internet & Society der Harvard University.