Von Ehrenamt und Kollaboration. Ein Interview mit Gereon Kalkuhl
Was bedeutet Ehrenamt für dich persönlich?
Für mich ist das Ehrenamt ein Engagement, um etwas in Umwelt oder Gesellschaft zu verbessern. Aber es ist auch eine Tätigkeit, die einem selbst Spaß machen sollte und bei der man etwas dazulernen kann. Toll ist am Ehrenamt, dass man etwas, was einen stört, direkt verbessern kann.
Ich habe zum Beispiel in der Wikipedia mein Interesse an Schach vertiefen können und viele Artikel zu Schachspielern angelegt oder verbessert. Ich hatte das Erlebnis, dass durch mein Zutun etwas besser wurde. Das war sehr befriedigend für mich. Dann habe ich gemerkt, dass auch noch andere davon profitieren und das hat mich sehr gefreut.
Was ist für dich das Besondere an einem Online-Ehrenamt?
Ein Online-Ehrenamt ist zeitlich und räumlich entgrenzt. Zum Beispiel ist man als Wikipedianer sehr selbstbestimmt, was Arbeitsort und -zeit angeht, und kann auch die Regeln des Projekts selbst mitgestalten. Wir brauchen nur einen Internetzugang und können loslegen. Darüber hinaus ist natürlich die Skalierung und Reichweite online viel höher, als es bei einem Offline-Ehrenamt jemals möglich ist: Was ich in der Wikipedia editiere, kann man sofort weltweit einsehen.
Hast du auch ein Offline-Ehrenamt?
Ja, ich bin zum Beispiel Stadtrat. Das gilt als Ehrenamt. Aber ich bin auch Mannschaftsführer in einem Schachverein, Schiedsmann und war Schöffe an einem Landgericht.
Wie viel Zeit investierst du in die Wikipedia?
Seit 2007 in etwa 2 bis 4 Stunden jeden Tag. Ich glaube, ich habe seitdem wirklich fast keinen einzigen Tag ausgelassen.
Kann das Ehrenamt in den Beruf übergehen oder siehst du das klar getrennt?
Das Ehrenamt ist schon ganz anders, weil es hier keinen Druck und keine Vorgaben gibt. Aber natürlich kann man dabei viel lernen, was sich auch in anderen Lebensbereichen oder im Beruf anwenden lässt. Auf die Wikipedia bezogen zum Beispiel die Fähigkeiten des journalistischen und enzyklopädischen Arbeitens oder das Schlichten von Streit zwischen verschiedenen Parteien, zum Beispiel als Administrator. Denn immer wieder muss man ja in der Wikipedia zu Artikelversionen kommen, mit der alle zufrieden sind, das erfordert schon eine ganze Menge Fingerspitzengefühl.
Dabei muss gesagt werden, dass es Ehrenamt, wie wir es hier leben, nicht überall gibt, denn man muss es sich auch leisten können. Da sind wir in Deutschland in einer privilegierten Situation. In vielen afrikanischen Ländern ist das etwa nicht so einfach, da haben die Menschen sehr existenzielle Sorgen.
Würdest du das, was du in der Wikipedia machst, „Arbeit“ nennen?
Nein. Eher Kunst. Arbeit ist das, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Das muss nicht unbedingt Spaß machen, aber man muss ja irgendwie die Miete zahlen. Aber in meiner Freizeit mache ich Dinge, die mich erfüllen; ich mache Musik oder schreibe und drücke mich dadurch aus.
Wie siehst du die Bedeutung des Ehrenamts in der deutschen Gesellschaft?
Wir haben hier zum einen sehr gute Rahmenbedingungen, allein schon dadurch, dass wir in Deutschland Spenden absetzen können. Dadurch wird ehrenamtliches Arbeiten enorm erleichtert. In Nordmazedonien etwa wird auf Spenden eine Steuer erhoben, die es extrem teuer macht – weshalb kaum jemand spendet. Unsere Wikipedia-Community dort hat große Schwierigkeiten, ihre Projekte zu finanzieren.
Zudem hat das Ehrenamt in Deutschland einen guten Ruf, auch wenn es immer eine Minderheit ist, die ehrenamtlich tätig ist. Dennoch wissen die Menschen um die Bedeutung des Ehrenamts und es wird anerkannt, dass darin ein hoher Wert liegt.