Open für alle?

  • Arne Semsrott
  • Christine Kolbe

Die Forderung nach Offenheit setzt sich in immer mehr Bereichen durch. Trotzdem gibt es noch Hürden. Ein Gespräch mit Christine Kolbe und Arne Semsrott. 

Was haben die Open-Bewegungen erreicht? 

CHRISTINE KOLBE: Seit wir vor zwölf Jahren mit Open Everything gestartet sind, ist in vielen Bereichen Großes entstanden: im Open-Data-Bereich, auch mit Wikimedia in Deutschland. Die Open-Education-Bewegung, für die ich mich in den vergangenen Jahren verstärkt engagiert habe, verzeichnet ebenfalls Erfolge, gerade auf der Ebene der Schulen, die durch ihre Verankerung in der Mitte der Gesellschaft ja enorm wichtig sind. Die Bedeutung von offen lizenzierten Bildungsmaterialien wird immer mehr verstanden – von der Politik ebenso wie von der Lehrerinnen- und Lehrer-Community.

ARNE SEMSROTT: Im Bereich der politischen Transparenz und Informationsfreiheit ist ein Umwälzungsprozess im Gang, der tatsächlich das Verhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat Stück für Stück verändert. Wir haben erreicht, dass zum Beispiel der Gesetzgebungsprozess jetzt transparenter ist – weil zumindest auf Bundesebene Gesetzentwürfe und Lobby-Stellungnahmen dazu standardmäßig veröffentlicht werden. Wir erleben jetzt die Diskussion um ein Lobby-Register. Und gleichzeitig gibt es Gegenbewegungen, was immer ein Zeichen für Erfolg ist. Bestimmte Ministerien versuchen, manche Informationen nicht mehr zu verakten, damit sie nicht herausgegeben werden können.

Was können die Bewegungen voneinander lernen?

SEMSROTT: Zum Beispiel bei den verschiedenen Strategien, wie man auf Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zugeht. Da gibt es sehr unterschiedliche Ansätze, von kooperativ bis offensiv. In beiden Fällen – wie schafft man Konsens, wie übt man Druck aus? – lässt sich voneinander lernen.

KOLBE: Die Bewegungen haben in der Regel das gleiche Mindset, gleiche Wertestandards. Es gibt natürlich Communitys, die weit vorangehen – die Open-Source-Bewegung etwa, die gleichzeitig aber auch eine sehr geschlossene Community ist. Ich finde es wichtig, über den Tellerrand zu schauen: Was bedeutet beispielsweise Open Culture im Open-GLAM-Bereich? Was treibt uns dazu, Gemälde zum Besitz Einzelner zu erklären? Was bedeutet Teilhabe? Aus solchen Fragen können starke Impulse für die Bewegungen erwachsen. 

SEMSROTT: Ich finde den Punkt interessant, dass nicht alle Communitys wirklich offen gegenüber neuen Leuten sind – obwohl sie das Label „open“ tragen. Das betrifft zum einen das Problem, dass einige dieser Bereiche sehr weiß und männlich geprägt sind, überwiegend Mittel- oder Oberschichtshintergrund haben. Aber auch thematisch sehe ich Potenziale für mehr Vernetzung. „Bits und Bäume“ ist ein gutes Beispiel, ein Projekt, das Tekkies und Menschen aus der Umweltbewegung zusammenbringt. Solche Kooperationen wären sicherlich auch in anderen Open-Bereichen sinnvoll.

KOLBE: Ein anderes Beispiel ist die Maker-Szene: eigentlich auch eine männlich geprägte Bewegung von Erwachsenen. Aber deren Wertekodex lässt sich auf die Pädagogik übertragen. Wir helfen uns gegenseitig, wir teilen das Werkzeug, Lernen ist ein Prozess, in dem auch Scheitern seinen Platz hat. Die Offenheit zu scheitern kommt ja in der deutschen Bildungspraxis gar nicht vor. 

Haben sich die gesellschaftlichen Parameter verschoben – zu mehr Offenheit für Open? 

KOLBE: Im Bildungsbereich befinden wir uns in einer Sensibilisierungsphase. Aber dieser Paradigmenwechsel braucht Zeit, weil das neuzeitliche Verständnis von „geistigem Eigentum“ sich so tief in unsere DNA eingeschrieben hat. Dass ich persönlich wachse, wenn ich Werke teile, Zeit spende, Wissen zugänglich mache – das ist ein Prozess, der individuell erfahren werden muss. Die größer werdende Twitter-Community von Lehrerinnen und Lehrern ist ein hoffnungsvoll stimmendes Beispiel: Da werden bundesweit im Twitter-Lehrerzimmer auch mal Materialien geteilt, bei denen die Urheberrechtsfrage nicht ganz wasserdicht ist. Aber der Weg führt weg von didaktischen Konzepten, auf denen der eigene Name für Ruhm und Ehre stehen muss.

SEMSROTT: Um mehr Bewusstsein zu schaffen, müssen die Open-Bewegungen in den kommenden Jahren mit ihren Anliegen noch forcierter an Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger herantreten. Wir hatten lange die etwas naive Hoffnung, dass die Communitys vormachen, wie es gut läuft – und dann werden diese Ideen schon übernommen. Häufig löst sich das aber leider nicht ein. Wir brauchen mehr politische Arbeit, auch mehr Protest, damit sich die Open-Konzepte durchsetzen.

KOLBE: Und natürlich sollte es mehr Förderung für die offenen Bewegungen geben. Immerhin haben wir jetzt den Prototype Fund zur Entwicklung von Open-Source-Tools, in den staatliche Gelder fließen – aber da geht es eben, wie der Name schon sagt, um Prototypen. Jetzt bräuchte es den nächsten Schritt.

SEMSROTT: Nicht nur beim Bund, sondern auch bei Stiftungen gibt es den Impuls, immer etwas Neues, das nächste fancy Ding zu fördern. Dabei wird vergessen, dass etliche gute Ideen bereits funktionieren. Gerade im Bereich von Open Source haben wir eine sehr wacklige Infrastruktur, die teilweise darauf basiert, dass Leute sie in ihrer Freizeit pflegen. Das kann es nicht sein. Es existiert dafür kein öffentliches Förderprogramm.

Was ist Ihre Forderung an die Politik?

SEMSROTT: Um schnellere Veränderungen zu bewirken, brauchen wir ganz einfach bessere Gesetze. Im Bereich der politischen Transparenz wäre das ein Transparenzgesetz, das die Veröffentlichung zentraler Informationen vorschreibt. Darüber könnte man viel Offenheit verankern.

KOLBE: Wir brauchen Strukturförderung für Pädagoginnen und Pädagogen, die Bildungsmaterial frei und offen zur Verfügung stellen wollen. Und Investitionen in die Infrastrukturen. In Berlin gibt es eine Schulcloud – nicht Open Source – die fortwährend zusammenbricht. Wie in so vielen Fällen werden die Potenziale nicht genutzt, die eigentlich vorhanden wären. Also, die Forderung lautet: mehr Ressourcen. Open Money!

Arne Semsrott

Arne Semsrott ist bei der Open Knowledge Foundation Projektleiter des Portals FragDenStaat.de und beschäftigt sich mit Informationsfreiheit. Er ist Politikwissenschaftler, arbeitet als freier Journalist und engagiert sich in weiteren NGOs zu Themen wie Transparenz und Lobbyismus, unter anderem als ehrenamtlicher Vorstand von LobbyControl.

Christine Kolbe

Christine Kolbe arbeitet zum Lernen im digitalen Wandel, pädagogischem Making und Kultur im Digitalen. Bis Herbst 2020 leitete sie die deutsche Beteiligung im EU-Projekt DOIT – Innovate entrepreneurial education in makerspaces. Im Projekt edulabs – Lernen im Digitalen Wandel übernahm sie von 2017 bis 2018 die Rolle der didaktischen Koordinatorin.