Wissenschaft, öffne dich! – Wie transparente Forschungsprozesse Qualität in der Wissenschaft befördern

  • Rima-Maria Rahal

Ein Essay von Rima-Maria Rahal

Was hat Transparenz mit Qualität zu tun? Offenheit kann zwar als Wert an sich und damit als ein Qualitätsmerkmal wissenschaftlicher Arbeit betrachtet werden. Aber auch als Mittel zum Zweck ist Transparenz in der Forschung mit dem Qualitätsgedanken verbunden.

Dies gilt, obwohl die Wissenschaft ein diverses und facettenreiches Feld ist, auf dem unterschiedliche Forschende Fragestellungen aus verschiedenen Blickwinkeln mit unterschiedlichen Methoden und Fokus auf verschiedenen Aspekten bearbeiten. Denn trotz aller Diversität ist sich die Wissenschaft in einem Kernaspekt einig: Es geht darum, Erkenntnisse zu gewinnen und die Grenzen dessen, was wir verstehen und erklären können, auszuweiten. 

Neue Erkenntnisse mit erfundenen Rädern

Dieser Prozess des Erkenntnisgewinns kann besser oder schlechter ablaufen. Im Optimalfall ist der Prozess unter anderem sowohl selbst korrigierend als auch kumulativ. Zum einen sollen bessere Erklärungsansätze bestehende, weniger passende ablösen. Um diese Entwicklung zu ermöglichen, bauen zum anderen Fragestellungen und Methoden aufeinander auf – anstatt das Rad ständig neu zu erfinden, werden mit den bereits erfundenen Rädern neue Erkenntnisse vorangetrieben. Zugleich können aber Fehlversuche auch als solche erkannt werden, sodass zukünftige Ressourcen nicht weiter in Forschungsvorhaben investiert werden, die sich schon als Sackgassen herausgestellt haben. So bleibt der Forschungsprozess zielgerichtet und ressourceneffizient. 

Das Aufeinander-Aufbauen von Forschungsvorhaben lässt sich jedoch nur dann erreichen, wenn der Wissenschaftsprozess an sich transparent gestaltet wird.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sich im Detail über den Forschungsgegenstand informieren können, um ihn beforschen zu können. Dies wird durch die Publikation von Forschungsinhalten in offenen Formaten gefördert: etwa Open Access in mehr oder weniger traditionellen Zeitschriften, in Form von (Vorab-)Veröffentlichungen außerhalb solcher Zeitschriften (Preprints) oder als unkonventionelle Beiträge in anderen frei zugänglichen Medien (Blogs, Podcasts, etc.). Weiter können nur transparent kommunizierte Theorien mit testbaren Hypothesen überprüft, korrigiert und erweitert werden. 

Dafür sind wiederum transparente Tests dieser Hypothesen notwendig, sodass die Theorien entsprechend überarbeitet werden können. Auch hier gilt: Nur transparent verfügbar gemachte Arbeiten lassen sich nachvollziehen, reproduzieren und replizieren. Forschende müssen sich über die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen informieren können, um (ggf. empirisch) zu prüfen, ob sie unter denselben Voraussetzungen zu denselben Schlüssen gelangt wären. Denn nur diejenigen Arbeiten können zur Korrektur oder Bestätigung von Theorien herangezogen werden, die durch ihre Nachvollziehbarkeit und Robustheit tatsächlich dazu geeignet sind. Sonst entstünde eine Verzerrung der Theorie, die dadurch ihre Erklärungs- und Aussagekraft einbüßen würde. Außerdem würden weitere Forschungsvorhaben sonst in die falsche Richtung zielen. Wird jedoch der Prozess des Erkenntnisgewinns transparent, lässt er sich überprüfen und ggf. korrigieren. Demnach trägt Transparenz dazu bei, den Wissenschaftsprozess so zu formen, dass kumulative und selbst korrigierende Abläufe umgesetzt werden können. 

Die Offenheit und ihre Grenzen

Zudem können Bemühungen unternommen werden, schon in der Vorbereitung von Forschungsarbeiten den Prozess so zu gestalten, dass möglichst verlässliche Erkenntnisse generiert werden. Dazu sind beispielsweise transparente Publikationsformate wie Registered Reports geeignet, die schon vor Durchführung der ausschlaggebenden Tests zur aufgestellten Theorie unabhängige Expertinnen und Experten im Peer-Review-Verfahren* einschalten. Anders als beim klassischen Peer-Review am Ende der Forschungsarbeit können so methodische Verbesserungen vorgenommen werden, bevor der erkenntnisgebende Prozess durchgeführt wird. Zudem ermöglichen solche Formate auch die Publikationszusage unabhängig von den entstehenden Ergebnissen, sodass Verzerrungen (z. B. zulasten nicht-signifikanter Ergebnisse) in der Forschungsliteratur vermieden werden. Dadurch kann die veröffentlichte Literatur zum passgenaueren Abbild der tatsächlich stattfindenden Forschungstätigkeiten werden. 

Wie transparent muss der Forschungsprozess aber genau sein? Muss jedes finale Ergebnis eines Forschungsabschnitts offengelegt werden oder soll engmaschiger berichtet werden, soll sogar jeder einzelne Gedanke der Beteiligten öffentlich zugänglich gemacht werden? Was bedeuten Nachvollziehbarkeit, Offenheit und Transparenz im Spiegel der unterschiedlichen Disziplinen und Methodenzugänge? Und wo haben sie ihre Grenzen, wenn zum Beispiel Fragen des Datenschutzes, des Urheberrechts, von Konkurrenz unter Forschenden oder praktische Begrenzungen bei der Speicherung, Zugänglichkeit und Nutzung der zur Dokumentation von Forschungsprozessen generierten Datenmengen ins Spiel kommen? Ganz offen und total transparent kann die Wissenschaft wohl nicht sein. 

Dennoch, die Transparenz der Forschungsansätze ist ein zentrales Kriterium für den Ablauf des Wissenschaftsprozesses im Sinne guter wissenschaftlicher Praxis und fördert die Qualität der Forschungsarbeit. Statt massenhaft Literatur ohne Rücksicht auf deren Belastbarkeit zu publizieren, rückt die Frage, ob Erkenntnisse nachvollziehbar sind und ob darauf aufgebaut werden kann, in den Fokus der Forschungstätigkeit. Schließlich ist ein transparenter Wissenschaftsprozess also auch dazu geeignet, die Priorisierung von Forschungsqualität zu ermöglichen. Demnach sollte die wissenschaftliche Arbeit so offen und transparent wie möglich sein. 

*Peer-Review-Verfahren

Eine Peer-Review (englisch von Peer, Gleichrangiger, und Review, Begutachtung, seltener deutsch: Kreuzgutachten) ist ein Verfahren zur Qualitätssicherung einer wissenschaftlichen Arbeit oder eines Projektes durch unabhängige Gutachterinnen und Gutachter aus dem gleichen Fachgebiet.

[Quelle: Wikipedia]

Wikimedia-Salon „Q=Qualität. Ist Offene Wissenschaft die bessere Wissenschaft?“

Weitere Infos:

Rima-Maria Rahal

Rima-Maria Rahal studierte Psychologie in Heidelberg und Amsterdam und promovierte an der Universität Leiden zu kognitiven Grundlagen von Entscheidungen in sozialen und moralischen Dilemmata. Ihre Doktorarbeit schrieb sie zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. Derzeit arbeitet sie an der Tilburg University. Rahal ist Alumna des Fellowships Freies Wissen und erarbeitet einen Onlinekurs zu methodischen Grundlagen wissenschaftlichen Experimentierens unter Einbeziehung offener Forschungspraktiken.