Das Engagement von heute und morgen

  • Katarina Peranic
    Katarina Peranić

Ein Interview  

Im Netz findet sich ein regelrechtes Ökosystem an ehrenamtlichem Engagement. Von Freifunk über die Wikipedia-Community bis hin zur digitalen Nachbarschaftshilfe, um nur einige zu nennen. Wie schätzen Sie deren sich entwickelnde Bedeutung ein – in Bezug zum klassischen analogen Ehrenamt?

Zunächst einmal finde ich es gut, die beiden Bereiche zusammenzudenken. In der Vergangenheit wurden hier gern Gegensätze konstruiert: auf der einen Seite die Online-Volunteers, auf der anderen diejenigen, die vor Ort sind. Das war aber schon immer ein Scheingegensatz. Tatsächlich sind es zwei sich unterstützende Ökosysteme, die sich immer mehr annähern und miteinander verschmelzen. Grundsätzlich ist doch die Frage: Warum engagiert man sich überhaupt? Weil man – das wäre das ganz hehre Ziel – ein gesellschaftliches Problem lösen will, weil man Lust hat, mit anderen etwas auf die Beine zu stellen und dabei selbst viel zu lernen, Fertigkeiten und soziale Kompetenzen zu erlangen. Oder weil man daran glaubt, dass man etwas zurückgeben sollte, wenn es einem selbst gut geht. Bei all dem spielt es keine Rolle, ob das Engagement analog oder digital stattfindet. 

„Wenn man über Ehrenamt und Engagement in Deutschland redet, dann spricht man eben über eine sehr vielfältige, diverse Gruppe: 30 Millionen Menschen sind engagiert, es gibt 600.000 Vereine.“

Gibt es in beiden Bereichen genügend Nachwuchs? 

Die Bundesregierung hat einen Engagement-Bericht in Auftrag gegeben, dessen dritte Ausgabe im vergangenen Jahr erschienen ist. Darin wird genau diese Frage untersucht: Wie sieht es eigentlich mit dem jungen Engagement aus? Aus dem Ehrenamtsbereich sind ja immer wieder Klagen zu hören, dass man Probleme mit dem Nachwuchs habe. Und es gibt das Vorurteil, dass sich junge Menschen weniger engagieren als ältere Menschen. Dieser Bericht gelangt zu einer ganz anderen Erkenntnis: Junge Menschen engagieren sich sehr wohl zu einem hohen Prozentteil – allerdings kurzfristiger. Da ist ein digitales Ehrenamt manchmal einfacher für den Einstieg als ein auf Dauer angelegtes klassisches Amt wie zum Beispiel Kassenwartin eines Vereins. Junge Menschen unterscheiden zudem auch nicht so stark, ob sie Online-Marketing oder Social-Media-Community-Management für ihren Verein machen oder vor Ort sind, wenn eine analoge Veranstaltung stattfindet. Die Bereiche befruchten sich gegenseitig.

Braucht es in Ihren Augen ein Ehrenamtsregister als staatliche Plattform, um die große Bereitschaft für Engagement im Netz bestmöglich zu unterstützen?

Seit vielen Jahren wird diskutiert, ob es so etwas braucht, sei es auf Bundesebene und/oder betrieben von einem staatlichen Akteur. Tatsächlich existiert eine Vielzahl von Engagementbörsen oder Engagementdatenbanken. Allein online gibt es rund 350 sehr unterschiedliche Angebote. Mal sind es Apps, mal Plattformen, mal werden die Daten über eine lokale Freiwilligen-Agentur eingespeist, mal gibt es ein Community-Management dazu. Wenn man über Ehrenamt und Engagement in Deutschland redet, dann spricht man eben über eine sehr vielfältige, diverse Gruppe: Rund 30 Millionen Menschen sind engagiert, es gibt 600.000 Vereine. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welchen Aufwand es bedeuten würde, die alle auf einem zentralen Ehrenamtsregister à jour zu halten. Viel spannender ist doch die Frage: Welche Formen von digitaler Engagement-Vermittlung und Bedarfserhebung sind so aufgestellt, dass sie eine Wirkung erreichen?  

Woran ließe sich die Wirkung messen?

Daran, ob die Hilfen auch wirklich dort ankommen, wo sie gebraucht werden. Wann immer Ereignisse plötzlich über uns hereinbrechen – sei es eine Flutkatastrophe oder aktuell die Corona-Pandemie – entstehen sofort neue Plattformen. Wir konnten das bereits 2015/2016 beobachten, als viele Menschen im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen sind. Sehr schnell waren 83 Engagementbörsen entstanden, um Geflüchteten zu helfen. Es gab gar nicht so viele Geflüchtete, die davon wussten, dass sie dort ihre Bedarfe anmelden konnten. Aber es gab sehr viele Menschen, die Lust und Energie hatten, so eine Plattform aufzubauen. Man muss identifizieren, welche Angebote gut funktionieren – und diese so unterstützen, dass sie wachsen können und bekannt werden. Und genau so sollte man kleine Communitys belassen, die einfach gut in ihrer jeweiligen Nische wirken. Was es aber tatsächlich nicht gibt, das ist eine Anlaufstelle für Menschen, die sich digital engagieren wollen. Es lohnt sich, nachzudenken, welche Akteure hier unterstützen könnten.

„Generell sollte Politik mehr auf die Zivilgesellschaft hören: Welche Forderungen es gibt und welche Bedarfe. Die Leute vor Ort wissen am besten, was sie brauchen.“

Welche Rolle spielt der Aufbau von digitalen Wissenscommunitys für Engagement und Ehrenamt in Zukunft?

Aus meiner Perspektive eine große. Nicht nur das Engagement ist divers. Es gibt auch sehr verschiedene Engagementbereiche: den Sport, wo sich die allermeisten engagieren, Kultur, Soziales und Umwelt. An allen Ecken und Enden entsteht Wissen, und überall entstehen Projekte – aber häufig ist es so, dass viel Zeit und viele Ressourcen in die Entwicklung gleicher Dinge investiert werden. Aus meiner Erfahrung ist es bereichernd, diese unterschiedlichen Menschen in den Dialog und in einen Wissensaustausch zu bringen, damit sie voneinander lernen und ihre Kräfte bündeln können. Da braucht es viel mehr Formate und Akteure, die bereit sind, ihr Wissen zu teilen, zum Beispiel auf Veranstaltungen wie Barcamps. Die Stiftung Bürgermut mit openTransfer ist da sehr engagiert, auch Wikimedia ist natürlich ein riesiger Player auf diesem Feld. 

Was kann Politik an Rahmenbedingungen für eine gute Zukunft des digitalen Ehrenamts setzen?

Die Politik ist durchaus ein starker Förderpartner, was Engagement und Ehrenamt angeht. In den vergangenen Jahren sehe ich da einen großen Sprung nach vorn. Es gibt mittlerweile einen Prototype Fund, der über die Open Knowledge Foundation abgebildet wird. Das Projekt Freifunk, das freie Kommunikation in digitalen Netzen aufbaut, ist endlich in die Familie der Gemeinnützigkeitszwecke aufgenommen worden. Auch das zählt für mich zu Rahmenbedingungen, die geschaffen werden müssen. Generell sollte Politik mehr auf die Zivilgesellschaft hören: Welche Forderungen es gibt und welche Bedarfe. Die Leute vor Ort wissen am besten, was sie brauchen.

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Katarina Peranic

Katarina Peranić

Katarina Peranic ist Vorständin der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Bis 2020 war sie geschäftsführende Vorständin der Stiftung Bürgermut. Die zertifizierte Stiftungsmanagerin (DSA) und Politikwissenschaftlerin begleitet seit mehr als zehn Jahren Projekte in Zivilgesellschaft und Politik. Dabei spielen der Aufbau von analogen und digitalen Wissens-Communitys eine zentrale Rolle.