Welche Allmenden funktionieren analog und digital – welche nicht?
Das hängt stark davon ab, wie die Institutionen ausgestaltet sind, die die Allmende regulieren: Wer Zugang hat, wer beitragen darf, oder eben nicht. Es kommt darauf an, wie groß die Gruppe ist, die zu einer Allmende beiträgt oder sie potenziell nutzen kann – und wie asymmetrisch das Verhältnis zwischen Nutzenden und Beitragenden ist. Darin unterscheiden sich die Allmenden im analogen und digitalen Bereich kaum. Worin sie sich unterscheiden, das ist die Frage der Übernutzung, wie sie auf der Dorfwiese passieren kann, oder wenn es um unsere Umwelt geht, unsere Ökosysteme – das gibt es im digitalen Bereich nicht. Im Gegenteil.
Ein Beispiel: wissenschaftliches Wissen, auch ein Allmende-Gut. Wissenschaft funktioniert dann am besten, wenn möglichst viele Menschen möglichst viel Zugang haben. Das Problem ist hier eher die Bereitstellung. Das hat man durch öffentlich finanzierte Universitäten und Forschungseinrichtungen gelöst. Bei Wikipedia ist das Bereitstellungsproblem durch freiwillige Beiträge und Spenden gelöst. In beiden Fällen gibt es kein Übernutzungsproblem. Die Wikipedia wird nicht weniger wert, sondern mehr, wenn möglichst viele Menschen sie nutzen. Weil dann mehr Fehler gefunden werden, weil generell Wissen in Gebrauch an Wert gewinnt.
Welche Faktoren machen die Allmenden im Netz wirklich nachhaltig?
Es gibt viele Aspekte, die relevant sind, um Allmende-Güter im digitalen Raum nicht nur bestehen, sondern auch wachsen und gedeihen zu lassen. Zum einen rechtlich-regulatorische Maßnahmen, die eine Einhegung verhindern. Da ist der Klassiker die freie Lizenz, die in der Wikipedia oder auch bei freier Software zum Einsatz kommt und verhindert, dass etwas, das gemeinschaftlich, kollektiv erstellt wurde, wieder zur Ware wird.
Ein zweiter Aspekt ist, dass die Allmende ihren Wert nur behält, wenn sie kontinuierlich gepflegt und immer wieder erneuert wird. Zu einer Allmende gehört eine Community, die sie befüllt, aber auch nutzt. Das müssen nicht dieselben Leute sein. Nur ein kleiner Bruchteil der Menschheit befüllt die Wikipedia. Aber die ganze Welt nutzt sie. Niemand würde fordern, dass sie nur Leute nutzen dürfen, die auch beitragen. Ich unterscheide in der Regel zwischen einer Community, die zur Allmende beiträgt, und einer Crowd, die sie nutzt. Um eine nachhaltige digitale Allmende zu haben, braucht es beides. Wobei die Community für die bloße Existenz wahrscheinlich wichtiger ist als die Crowd.
In welchem Fall würde es Sinn ergeben, auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) zu handhaben wie ein Gemeingut?
Unterschiedliche Werke, die vom ÖRR produziert werden, haben unterschiedliche Allmende-Nähe oder -Ferne. Nachrichten, Informationen, Daten sind sehr nahe an Bereichen, die einen Allgemeingut-Charakter haben. Es gibt ja auch ein Informationsrecht der Allgemeinheit. In diesem Bereich spricht für mich nichts dagegen, die Inhalte unter einem starken Allmende-Regime zu veröffentlichen, das eine sehr weitreichende Nutzung erlaubt. Das betrifft zum Beispiel freie Lizenzen, die auch Wikipedia-kompatibel wären.
Dann gibt es einen Brückenbereich wie zum Beispiel den Dokumentarfilm. Dokumentarfilme lassen sich schlecht monetarisieren, sie müssen ohnehin zum allergrößten Teil öffentlich vorfinanziert werden, und gleichzeitig haben sie starken Informationscharakter. Hier wird ja auch unter den Filmemacherinnen und Filmemachern längst debattiert, ob es neben dem gewohnten nicht auch ein Allmende-Modell geben sollte.
Wieder etwas anderes ist der Bereich von fiktionalen Produktionen. Die Kulturproduktionsindustrie in ihrer derzeitigen institutionellen Verfasstheit ist ja sehr Allmende-fern. Sie wird auch primär von einem Urheberrecht reguliert, das zu großen Teilen Allmende-feindlich ist. Hier zu einer Allmende-basierten Produktion zu gelangen, das hat den Charakter einer Utopie – über die ich allerdings gern nachdenken würde.
Weitere Infos:
- Leonhard Dobusch bei netzpolitik.org
- Wikimedia-Salon A=Allmende – Wohin steuern Gemeinschaftsprojekte im Netz? mit Silke Helfrich, Leonhard Dobusch und Elektra Wagenrad
- Wikimedia-Salon”XY ungelöst: Wie kann Wikipedia diverser werden?” mit Leonhard Dobusch, Ferda Ataman und Christel Steigenberger (2020)