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Fail

Was ist Scheitern – nur das Gegenteil von Erfolg? Dazu müsste man erst mal wissen, was Erfolg bedeutet. Warum nicht eine Band gründen, die so heißt, um vielleicht hinterher schlauer zu sein!
Sind wir auf dem Weg zu einer positiven Fehlerkultur?

  • Gemeinwohl
  • Open Culture

Im Gespräch

  • Jan Engelmann
  • Johannes von Weizsäcker

Gemeinsam schöner scheitern

Jan Engelmann und Johannes von Weizsäcker im Gespräch über intendierte Ziele und verfolgenswerte Zufälle

Was ist Scheitern – nur das Gegenteil von Erfolg?

JOHANNES VON WEIZSÄCKER: Dazu müsste man erst mal wissen, was Erfolg bedeutet. Ich dachte, ich gründe eine Band, die so heißt, und hinterher bin ich schlauer. Aber das hat nicht funktioniert. Wenn man sich etwas vornimmt, das man gerne verwirklichen würde, es aber nicht hinbekommt – das könnte man als Scheitern bezeichnen.

JAN ENGELMANN: Ich finde es symptomatisch, dass wir gleich im ersten Schritt von beruflichem Erfolg sprechen. Ich würde unterstellen, dass ein Künstler wie Johannes Erfolg nicht mit kommerziellem Erfolg gleichsetzt, sonst würde er andere Musik machen müssen. Der Begriff muss gekoppelt sein an persönliche Ziele. Ich habe im Vorfeld des Gesprächs „Scheitern“ in der Wikipedia nachgeschlagen, da heißt es im ersten Satz: „Unter Scheitern versteht man, wenn ein durch eine Handlung intendiertes Ziel nicht erreicht wird.“ Eine schlanke Definition, die aber auf Musik meiner Ansicht nach überhaupt nicht zutrifft.

WEIZSÄCKER: Das stimmt. Beim Kreieren von Musik fängt man irgendwo an, nimmt sich etwas vor und endet an einem Punkt, der im Zweifelsfall nur wenig mit dem ursprünglichen Ziel zu tun hat – aber trotzdem schön ist!

„Bekanntlich ist auch die Wikipedia aus einem gescheiterten Projekt hervorgegangen – der Nupedia.“   

Jan Engelmann

ENGELMANN: Zumindest in der zeitgenössischen Musik gibt es so etwas wie den „produktiven Fehler“. Ein sich Verspielen, ein dissonanter Akkord, der zu einer Störung des Rhythmus führt, ein gegen die Gebrauchsanweisung eingesetztes Instrument …

WEIZSÄCKER: Ganze Genres basieren darauf, zum Beispiel der Punkrock, bei dem es ja oberste Maßgabe war, an seinem Instrument zu scheitern. Früher, als es viel Geld gekostet hat, ins Studio zu gehen, haben aber auch professionellere Musikerinnen und Musiker unter großem Zeitdruck Aufnahmen produziert, bei denen der Gesang schief war, etwas aus dem Takt gespielt wurde. Dabei sind teilweise Lieder entstanden, bei denen gerade das Ungeschliffene die Aura der Aufnahme ausgemacht hat. Das trifft ja auch auf andere Künste zu, Literatur zum Beispiel: Gerade der Fehler, das nicht Geplante, kann etwas mindestens so Gutes zeitigen, als wäre man dem Plan gefolgt. Wahrscheinlich gilt das für viele Bereiche, Arbeit, Beziehung: Alles ist Improvisieren, Ausprobieren.

ENGELMANN: Das Interessante an diesem Begriff des Scheiterns ist ja auch, dass er unter gewissen Konjunkturen steht – und sich damit fantastisch eignet für jegliche Form von Zeitdiagnose.

Das Scheitern ist mittlerweile auch integraler Bestandteil jedweder Innovationstheorie – egal, ob sie sich auf musikalische oder wirtschaftliche Vorgänge bezieht. Ohne Scheitern geht es gar nicht mehr. In Schweden existiert ein „Museum of Failure“. Der Leitsatz auf der Webseite lautet: „Innovation and progress require acceptance of failure.“ Die Frage bleibt, ob diese Akzeptanz von Scheitern als produktivem Moment realiter so ausgeprägt ist.

Zumindest scheint es ein gesellschaftliches Framing zum Scheitern und zu Erfolg zu geben, denken wir nur an den American Dream im Unterschied zur German Angst …

ENGELMANN: Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Wikipedia nicht in Deutschland erdacht wurde. Und bekanntlich ist die Wikipedia aus einem gescheiterten Projekt erwachsen, nämlich der Nupedia. Da kann man das Scheitern wirklich an Zahlen festmachen. Während die Nupedia – die auf einem Peer-Review, einem redaktionellen Prozess basierte – im ersten Jahr um die 12 Artikel produzierte, hat die Wikipedia im ersten Jahr 55.000 Artikel oder Artikelanfänge hervorgebracht. Diese Open-Content-Lösung ohne redaktionelle Instanz hat sich eindeutig als erfolgreicher herausgestellt. Sie ist aber rückblickend nicht denkbar ohne die Erfahrung, dass ein anderer Ansatz nicht so gut funktioniert hat.

WEIZSÄCKER: Was ja die große Frage aufwirft, ob sich aus Fehlern lernen lässt.

„McCartney hat mit ‚Yesterday’ das erfolgreichste Lied aller Zeiten geschrieben. Damit im Rücken fällt eine Solokarriere leichter.“   

Johannes von Weizsäcker

ENGELMANN: Wir hatten damals bei Wikimedia Deutschland einen hübschen Spruch an der Wand hängen: „Let’s make better mistakes tomorrow.“ Wenn ich schon weitere Fehler mache, dann bitte wenigstens informiertere. Um nicht existenziell zu scheitern, müssen meine Fehler besser werden, qualitätvoller. Der Satz hat natürlich viel zu tun mit der Kultur des agilen Software-Engineerings. Man probiert etwas aus, macht einen Coding-Sprint, bewertet, was dabei herauskam, dann erst folgen die nächsten Anforderungen. Dieses Prinzip lässt sich ganz leicht auf musikalische, ästhetische Prozesse, aber auch auf andere Arbeitsfelder übertragen.

Schützen kollaborative Prozesse vor dem Scheitern?

WEIZSÄCKER: Ob das Kollaborative per se vor dem Scheitern bewahrt, wage ich zu bezweifeln. Es gibt auch viele kollaborative Projekte, die scheitern, in gesellschaftlich-politischen Kontexten sogar ziemlich verheerend. Aber auch im Künstlerischen gibt es das oft. Was auf jeden Fall vermindert wird, ist die Angst vor dem Scheitern. Die ist natürlich bei Einzelpersonen viel größer, aus dem ganz banalen Grund, dass man allein verantwortlich ist. Und wenn Leute weniger Angst haben, erreichen sie meistens mehr.

ENGELMANN: Glaubst du, dass Paul McCartney, als es die Beatles noch gab, im abgesicherten Modus agiert hat – und als nach den Wings seine Soloplatten kamen, stand plötzlich im kalten Wind?

WEIZSÄCKER: McCartney hat mit „Yesterday“ das erfolgreichste Lied aller Zeiten geschrieben. Wenn man das im Rücken hat, ist es vielleicht etwas einfacher, danach eine Solokarriere zu machen. Aber es gibt ja gerade im Musikbereich viele Menschen, die eher fragile Egos haben – denen kann es helfen, wenn sie nicht diese Angst oder Paranoia haben, die gerne mal entsteht, wenn man im stillen Kämmerlein sitzt und etwas zu machen probiert.

Wie können wir schöner scheitern?

WEIZSÄCKER: Indem wir eine Band gründen!

ENGELMANN: Und bitte kein Soloalbum! Im Ernst: Indem wir Fehler – wenn wir den Fehler als kleinen Bruder des Scheiterns annehmen – nicht so existenziell aufladen. Sondern einfach Fehler machen und sie weiterverfolgen. Weniger intendiert durchs Leben laufen, den Zufällen stärker nachgehen, sie auch genießen. Das ist schöner Scheitern.

Wikimedia-Salon “F=Fail. Die Schönheit des Scheiterns” u.a. mit Silke Burmester und Philip Banse

Jan Engelmann

Jan Engelmann arbeitet als Policy Advisor beim digitalen Think Tank iRights.Lab. Zuvor war er Geschäftsführer in mehreren gemeinnützigen Organisationen (Whistleblower-Netzwerk e.V., Social Reporting Initiative e.V., Wikimedia Deutschland e.V.). Langjährige freie journalistische Tätigkeit für unter anderem Spex, taz und Literaturen; Herausgeber u.a. von „Botschaften der Macht. Der Foucault-Reader zu Diskurs und Medien“ (1999) und „Leidenschaft und Vernunft: Die öffentliche Intellektuelle Susan Sontag“ (2010).

Johannes von Weizsäcker

Johannes von Weizsäcker ist Musiker. In London gründete er 2000 die Band The Chap, zusammen mit Keith Duncan, Panos Ghikas und Claire Hope. Die Vier verbindet erklärtermaßen der Wunsch, Musik zu machen, die "falsch klingt". Er gründete 2014 sein Soloprojekt Erfolg, dessen erstes Album 2015 beim Label Staatsakt erschien. Zusammen mit Ramin Bijan und Maurice Summen spielt er in der Band Baked Beans.

3 Fragen an:

  • Philip Banse

Was bedeutet Scheitern für Sie?

Eine schmerzhafte und lehrreiche Erfahrung. Ich erinnere mich an ein konkretes Beispiel, bei dem ich sagen würde: Da bin ich gescheitert. Das war in den Jahren 2013 und 2014 der Versuch, zusammen mit einer Gruppe von Leuten einen genossenschaftlichen Sender in Deutschland aufzubauen, dersender.org. Nach viel Energie und Einsatz von allen Beteiligten ist das Projekt letztendlich gegen die Wand gefahren und ja, richtig gescheitert. Das war eine große Enttäuschung. Auf der anderen Seite sind daraus aber wiederum viele andere Unternehmungen entstanden, ich habe viel über Projekte gelernt, auch über mich. Ohne dieses Scheitern stünde ich nicht da, wo ich heute stehe.

Ist Scheitern die produktive Ursuppe?

Ob es die produktive Ursuppe ist? So weit würde ich nicht gehen. Es ist auf jeden Fall ein Teil der produktiven Ursuppe. Es gehört dazu, weil Fortschritt ohne Scheitern nicht denkbar ist. Unternehmungen und Ideen sind immer mit Risiko behaftet. Und Risiko heißt: In vielen Fällen klappt es vielleicht, aber es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es nicht klappt. Da schwingt dann ein Scheitern mit, weil das ursprüngliche Vorhaben eben nicht funktioniert hat. Aber das bedeutet wiederum nicht, dass gar nichts klappt und man nichts daraus lernen kann. Meiner Meinung nach ist das Schöne am Scheitern, dass man immer etwas daraus lernt. Oder fast immer. Zumindest muss man sich, wenn man scheitert, die Zeit nehmen, um herauszufinden, ob man etwas gelernt hat.

Gibt es Verbindungen zwischen Scheitern und Freiem Wissen?

Sicherlich in dem Sinne, dass man es teilt. Dass man die Lehren, die man aus dem Scheitern gezogen hat, nicht für sich behält, sondern das Aufgearbeitete anderen zur Verfügung stellt – damit sie wiederum daraus lernen können. Ich glaube auch, dass Freies Wissen die Wahrscheinlichkeit senkt, dass Ideen scheitern. Weil man nicht nur über das Scheitern selbst etwas erfahren kann, sondern tatsächlich materiell über die Idee, die man verfolgt. Vielleicht hatten andere bereits ähnliche Ideen, haben Fehler gemacht, sind zu wertvollen Erkenntnissen gelangt. Freies Wissen hilft, aus den Fehlern anderer zu lernen, damit man sie nicht alle selbst machen muss.

Weitere Infos:

Philip Banse zum Thema Scheitern beim Wikimedia Salon “F=Fail. Die Schönheit des Scheiterns”

Philip Banse

Philip Banse arbeitet als Journalist in Berlin, vor allem für Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, den Heise Verlag und dctp.tv. Banse hat das Podcast-Netzwerk Kuechenstud.io gegründet, wo er mit Freunden und Kollegen New Radio macht. Gemeinsam mit Ulf Buermeyer sendet Banse seit 2016 den tagespolitischen Podcast Lage der Nation.